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Wie Sachsens Preis-Ermittler die Inflation berechnen

Die Inflation in Sachsen wird von Statistikern in 210 sächsischen Supermärkten erfasst. Die Teuerung trifft nicht alle Sachsen gleich stark.

Von Georg Moeritz
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Teuerung per Preisschild: Beim Euroshop kostet alles 1,10 Euro statt einen Euro. Am stärksten zeigt sich die Inflation derzeit bei Gas, Öl und Kraftstoffen.
Teuerung per Preisschild: Beim Euroshop kostet alles 1,10 Euro statt einen Euro. Am stärksten zeigt sich die Inflation derzeit bei Gas, Öl und Kraftstoffen. © Georg Moeritz

Dresden. Was hat der Suezkanal mit der sächsischen Inflationsrate von fünf Prozent zu tun? Dass Kaffee und Kartoffeln in sächsischen Supermärkten erheblich teurer wurden als voriges Jahr, lag sicher kaum an dem Schiffsstau hinter dem quer liegenden Containerfrachter „Ever Given“ vom Frühjahr. Der unterbrochene Seeweg war aber ein zusätzlicher Anlass für Händler, nervös zu werden und ihre Kalkulationen zu überdenken. Strom-Ausfälle in Texas und in Dresden trugen einen kleinen Teil dazu bei, den Mangel an Mikrochips zu verstärken.

Der Hauptgrund für die starke Teuerung jetzt dürfte aber Corona sein. Lieferketten waren unterbrochen, manche Fabrik-Arbeiter und Fahrer fielen aus. Erst schaltete die Wirtschaft weltweit auf Vorsicht, dann zog die Nachfrage wieder stark an – zum Beispiel nach Erdöl und Erdgas. Auch Dünger wurde teurer.

Wie hoch ist die Inflation in Sachsen?

Nach jüngstem Stand von November kostet ein typischer Warenkorb in Sachsen fünf Prozent mehr als vor einem Jahr. Das Statistische Bundesamt in Wiesbaden errechnete sogar 5,2 Prozent Inflationsrate. Das war der höchste Stand seit Juni 1992. Damals wurde als Folge von Wiedervereinigung und Währungsunion vor allem im Osten vieles rasch teurer. Aber im ersten Corona-Jahr 2020 lag die Inflationsrate in Sachen nur bei 0,8 Prozent im Jahresdurchschnitt.

Im Oktober und Dezember 2020 errechneten die Kamenzer Statistiker sogar jeweils null Prozent, also insgesamt Preisstabilität. Heizöl war voriges Jahr im Schnitt gut 21 Prozent billiger als ein Jahr zuvor, Tanken neun Prozent. Das ist vorbei, wirkt sich aber nun noch auf die Berechnung der neuen Inflationsrate aus.

Im vorigen Jahr lag die Inflationsrate zeitweise bei oder unter null, jetzt hat sie fünf Prozent überschritten. Zum Teil ist das aber ein rechnerischer Effekt - wegen der niedrigen Preise von 2020.
Im vorigen Jahr lag die Inflationsrate zeitweise bei oder unter null, jetzt hat sie fünf Prozent überschritten. Zum Teil ist das aber ein rechnerischer Effekt - wegen der niedrigen Preise von 2020. © SZ Grafik

Trifft die Inflationsrate alle gleich?

Die fünf Prozent Teuerung innerhalb eines Jahres dürfte kaum jemand genau in diesem Ausmaß gespürt haben. Jeder hat einen anderen Warenkorb. Im typischen Warenkorb der Kamenzer Statistiker ist zum Beispiel die Kaltmiete mit fast 20 Prozent Anteil enthalten. Wer im eigenen Haus wohnt, muss diese 20 Prozent also anders einrechnen – falls er viel zu renovieren hatte, war seine persönliche Inflationsrate wohl höher. Wer sie berechnen will, findet beim Statistischen Bundesamt einen Internetrechner.

Nahrungsmittel machen knapp zehn Prozent Anteil am typischen Warenkorb aus, Verkehr ist mit 13 Prozent Anteil enthalten. Wer alle paar Tage tanken muss oder jüngst seinen Heizölvorrat aufzufüllen hatte, bekam die Teuerung stark mit. Der November 2021 war der teuerste Tankmonat aller Zeiten. Die Nachfrage nach Energie stieg weltweit – doch das Angebot blieb knapp, weil große Ölförderländer wie Saudi-Arabien und Russland ihre Produktion nur vorsichtig ausweiteten.

Im Herbst stiegen die Erdgaspreise so heftig, dass einige Händler wie Energiehaus Dresden das Geschäft stoppten und die Kunden zu den örtlichen Versorgern schickten – die daraufhin zusätzliches Gas zu hohen Preisen kaufen mussten und ihre Preise für die Neukunden kräftig erhöhten.

Wer prüft die Preise in Sachsen?

Für das Statistische Landesamt sind etwa 60 Preis-Ermittler in 20 Gemeinden unterwegs, sagt Pressesprecherin Diana Roth. Sie tragen jeden Monat 33.000 Einzelpreise zusammen. Dazu suchen sie 210 Supermärkte und Discounter auf, fünf Warenhäuser, 630 Fachgeschäfte sowie Tankstellen, Kioske und Friseursalons.

Dort tippen sie in ihre Tablets die Preise ein und übermitteln sie nach Kamenz. In Wiesbaden werden Preise zusammengetragen, die in Deutschland einheitlich sind – die Preise von Bahn und Telekom, von Versandhändlern und Zigarettenfabriken. Sonderangebote werden dabei zum Teil erfasst.

Wegen der Ansteckungsgefahr waren zeitweise mal Hotels, mal Friseursalons oder Möbelgeschäfte geschlossen. Laut Roth kamen Preiserhebungen über Prospekte während der Pandemie verstärkt zum Einsatz, Internetrecherchen gab es ohnehin. Dennoch fanden sich in diesem Jahr immer mal Angaben in Klammern in den Tabellen der Statistiker – etwa zur Entwicklung der Preise in Gaststätten, als sie geschlossen waren.

Wie werden die Miet-Erhöhungen gemessen?

Die Kaltmieten in Sachsen sind laut Statistischem Landesamt 0,8 Prozent höher als vor einem Jahr und 4,7 Prozent höher als vor sechs Jahren. Das scheint nicht zu den Berichten über stark steigende Mieten zu passen. Allerdings bekam längst nicht jeder eine Miet-Erhöhung, und die Preise in Wohnungsangeboten sind in dieser Statistik nicht erfasst. Vielmehr fragen die Kamenzer mehr als 500 Vermieter in Sachsen online nach deren tatsächlichen Mieten, und zwar in Kategorien: private Vermieter; öffentliche Trägerschaft/Wohnungsgenossenschaft; Wohnungsunternehmen.

Wie stark hat sich das Hin und Her der Mehrwertsteuer ausgewirkt?

Zum Juli 2020 senkte der Staat die Mehrwertsteuer. Der Liter Milch wurde zwei Cent billiger, bei anderen Produkten entschied jeder Händler anders. Der rechnerische Effekt der Mehrwertsteuer-Senkung verringerte laut Statistischem Bundesamt die Inflationsrate um 1,6 Prozentpunkte.

Seit Januar ist die Steuer wieder auf der alten Höhe. Das erklärt zumindest einen Teil der jetzt hohen Inflation, und dieser rechnerische Effekt dürfte im nächsten Jahr keine Rolle mehr spielen. Doch der Preis auf Kohlendioxid-Ausstoß steigt zum Januar erneut, und manche Güter bleiben knapp. Auch in den USA ist die Inflationsrate hoch. Mit 2,6 Prozent Inflationsrate in Deutschland rechnet der Sachverständigenrat der Wirtschaftsweisen für das neue Jahr 2022. (mit dpa)