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"Ich bin jetzt wieder der Zivi der Station"

Statt hinter der Bar steht Lars nun am Bett von Patienten. Corona hat ihn vom Club-Leben in den Stationsalltag katapultiert. Eine Geschichte von Not und Tugend.

Von Nadja Laske
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Lars ist einer der freiwilligen Helfer, die das Städtische Klinikum per Aufruf so dringend suchte, um Pfleger und Ärzte auf den Coronastationen zu entlasten.
Lars ist einer der freiwilligen Helfer, die das Städtische Klinikum per Aufruf so dringend suchte, um Pfleger und Ärzte auf den Coronastationen zu entlasten. © Christian Juppe

Dresden. Früher ging Lars im Morgengrauen zu Bett, nun steht er vor Sonnenaufgang auf. Mehr noch als für die meisten anderen Menschen hat Corona sein Leben verändert. Seit drei Wochen arbeitet der 40-Jährige auf einer Krankenstation.

Im normalen Leben würde er seinen Gästen Cocktails mixen und sie dabei fröhlich unterhalten. Jetzt tritt der Barkeeper sechs Uhr morgens in Kittel und Haube seinen Dienst im Städtischen Klinikum Dresden Friedrichstadt an.

Als er Mitte Dezember auf Facebook und in der Zeitung einen Aufruf der Klinik las, steckte er bereits seit Monaten in einer prekären Lage. "Mit 60 Prozent Kurzarbeitergeld falle ich unter das Existenzminimum", sagt Lars.

Rund 750 Euro habe er zum Leben, und er kenne Kollegen, die noch weniger erhalten. So konnte es für ihn nicht weitergehen.

Schon im ersten Lockdown hatte er sich einen Nebenjob gesucht und in einem Supermarkt Regale eingeräumt. Ansonsten verkaufte er Getränke vom Fenster des Lokals aus, in dem er arbeitete.

Ein wirkliches Clubleben mit Barbetrieb gab es auch zwischenzeitlich nicht. Den Beruf, den Lars so liebt, kann er seit März nicht ausüben.

Essen reichen und Müll wegbringen

"Nach der Schule habe ich im Friedrichstädter Krankenhaus meinen Zivildienst absolviert", erzählt er. Die Arbeit auf Krankenstationen kannte er zudem von der Arbeit seiner Mutter schon seit der Kindheit.

Zwar suchte das Klinikum ausgebildete Pfleger, Rettungssanitäter und Ärzte. Für Lars aber sprach dennoch, zumindest Erfahrungen im medizinischen Bereich gesammelt zu haben.

"Ich bin jetzt wieder so etwas wie der Zivi der Station", sagt Lars und lacht. Vor allem aber ist er ein Kollege mehr - mit zwei Beinen, die Wege erledigen und zwei Händen, die zupacken können.

Patienten das Essen bringen und sie notfalls füttern, Vitalwerte protokollieren, Müll wegräumen, Desinfektionsmittel nachfüllen, Botengänge erledigen - all das sind wichtige Aufgaben, die das Fachpersonal in seinem Stress entlastet.

Denn Lars arbeitet auf einer Coronastation des Klinikums. Dort ist zusätzliche "Manpower", wie er sagt, besonders nötig.

Alter der Patienten: "Das gibt zu denken"

Beispielsweise wenn üppige Patienten gelagert werden müssen. Das bedeutet vor allem für die Krankenpflegerinnen eine körperliche Herausforderung. Lars ist dabei eine immense Unterstützung.

Klar sei er an den ersten Tagen aufgeregt gewesen, gibt er zu. So viele Informationen musste er aufnehmen, sich an all die Abläufe auf Station gewöhnen - und eine Tatsache verkraften, die er nie bezweifelt, derart aber auch nicht verinnerlicht hatte: wie gefährlich Corona ist und was es mit den Menschen macht.

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"Eine 26-jährige Patientin wurde gerade entlassen, als ich meine neue Arbeit begann, und aktuell ist der jüngste Patient bei uns 43 Jahre alt. Das gibt zu denken", erzählt er.

Als Mitarbeiter der schwer von der Pandemie betroffenen Gastronomie hätte er Gründe, am Sinn mancher Regel zu zweifeln. "Aber seit ich hier arbeite, verstehe ich die Maßnahmen der Politik besser denn je", sagt er.

Noch voraussichtlich bis März hat Lars nun einen festen Job, der wichtig ist, ihn erfüllt und leben lässt. Doch der geht nicht spurlos an ihm vorbei.

"An meinem schwärzesten Tag waren zwei Patienten gerade verstorben, als ich zum Dienst kam. Einen weiteren habe ich kurz darauf in seinem Bett gefunden." Angehörige zu betreuen, auch das gehört gelegentlich zu Aufgaben, die schwer auf der Seele liegen.

Seine Mutter hat einen Tipp zur emotionalen Belastung

"Meine Mutter hat mir geraten, solche emotionalen Belastungen auf Arbeit zu lassen", erzählt er. Deshalb spreche er nur mit Kollegen über belastende Erlebnisse. Und er versucht, die guten Eindrücke in den Vordergrund zu rücken: für seine Hilfe dankbare Fachpfleger und Patienten. "Am schönsten ist es, wenn jemand gesund entlassen werden kann."

Barbetrieb und Krankenpflege - Lars entdeckt etliche Berührungspunkte zwischen beiden Berufen. Es hat schon seinen Sinn, dass es ihm hier Freude macht, Gäste zu bewirten und da, Patienten zu versorgen. Beides verlangt die Neigung, sich für andere engagieren zu wollen.

Natürlich wäre Lars auch zu gern wieder für die Besucher "seines" Lokals da. Wie das Gros der Menschen wünscht er sich Normalität mit Arbeit, Freunden, Partys und Reisen zurück. "Ich möchte so gern ins Fitnessstudio gehen", sagt er.

Die Überlegung, beruflich tatsächlich umzusatteln, kann er nicht ganz leugnen. Wenn schon nicht zum Pfleger, so vielleicht zum Physiotherapeuten. Aber zunächst ist die Sehnsucht nach seinem alten Leben und dem Tresen groß: "Ich will endlich wieder zurück ans Brett."

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