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"Tut mir leid, ich habe kein Kleingeld" – Görlitzer Kellner beklagen Trinkgeld-Geiz

Wenn es darum geht, das Personal für den Service zu belohnen, kramt in der Inflation manch Gast in Görlitz verlegen in der Geldbörse. Die Dehoga bewirbt eine mögliche Lösung.

Von Marc Hörcher
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Nikola Myszkiewicz, Kellnerin  im Restaurant Acanthus, bei ihrer Arbeit am Tresen. Sie und ihre Kolleginnen erleben, dass Gäste immer weniger spendabel sind beim Trinkgeld. Das spürt das Personal auch im Geldbeutel.
Nikola Myszkiewicz, Kellnerin im Restaurant Acanthus, bei ihrer Arbeit am Tresen. Sie und ihre Kolleginnen erleben, dass Gäste immer weniger spendabel sind beim Trinkgeld. Das spürt das Personal auch im Geldbeutel. © Martin Schneider

Die Gastronomie-Branche hatte es nicht leicht in den vergangenen drei Jahren. Corona, Krieg und Inflation sorgen dafür, dass viele Gäste ihr Geld zusammenhalten. Das trifft bis heute viele Kneipen, Restaurants und Cafés. Die Bäckereikette Schwerdtner ist bislang augenscheinlich gut über diese schwierige Zeit gekommen - zumindest erweitert das Unternehmen mit Hauptsitz in Löbau stetig. Erst vor wenigen Tagen eröffnete Schwerdtner sein neuestes Café namens "Das süße Leben" am Postplatz in Görlitz - die insgesamt 50. Filiale des Unternehmens.

Geschäftsführer Wicky Löffler erwähnte am Rande eines Pressegesprächs mit Sächsische.de beim Eröffnungstermin, was zu Corona-Hochzeiten vor allem das Problem vieler Cafés war: das ausbleibende Trinkgeld. Logisch: Als die Betriebe geschlossen hatten, konnten auch keine Gäste etwas dazugeben für den Service. "Manche Café-Betreiber haben uns damals gekündigt, und als Begründung gesagt: Das Trinkgeld fehlt, das war vorher meine Miete", so Löffler. Da halfen auch die großzügigsten Corona-Hilfen nicht, um das wieder auszugleichen. Mittlerweile haben die Gastronomen längst wieder geöffnet. Service ist da, aber wie steht es mit der Trinkgeld-Freudigkeit heute? Die SZ hat sich mal umgehört.

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Das Erste, was auffällt bei dieser nicht repräsentativen Umfrage: Viele Kellner und Wirte wollen überhaupt nicht über das Thema reden. "Nein, Danke" oder "Tabu-Thema!" bekommen wir höflich, aber direkt zu hören. Klare Aussage. Wieder andere sagen, sie spüren überhaupt keinen Unterschied. Oder erklären sogar, dass die Gäste in Zeiten der Inflation beim Trinkgeld eher noch sehr viel tiefer in die Tasche greifen würden und ganz und gar nicht geizig, sondern ganz besonders großzügig seien. Diese Aussage trifft eine Kellnerin, die damit aber nicht namentlich in der Zeitung zitiert werden möchte.

Anders ist es bei Kellnerin Nikola Myszkiewicz. Die 27-jährige Polin arbeitet auf der Neißstraße im Restaurant "Acanthus". Sie ist bereit, öffentlich zu reden - und macht sich ehrlich: Ja, die Gäste seien aufgrund der Inflation deutlich vorsichtiger, zurückhaltender und weniger spendabel geworden beim Trinkgeld. Das merke sie selbst und alle ihre Kollegen, mit denen sie sich über das Thema unterhält. "Früher gaben die Leute bei guter Bedienung neun Prozent Trinkgeld, jetzt sind es meist um die sieben", sagt sie. Zudem komme es häufiger vor, dass die Leute "aufpassen, wie viel auf der Rechnung steht" und "erstmal die Speisekarte sehen" wollen - das sei vor einigen Jahren noch anders gewesen.

Vorwürfe machen möchte sie ihren Gästen nicht

Myszkiewicz schiebt noch hinterher: Nicht alle Gäste sparen, es gebe durchaus noch einige, die tiefer ins Portmonee greifen, sofern sie mit der Bedienung zufrieden waren. Und dann seien da noch die, die sagen "Tut mir leid, ich habe kein Kleingeld". Die junge Frau empfindet das als Ausrede. Vorwürfe machen möchte sie ihren Gästen aber nicht, sie kann die Sparsamkeit in diesen wirtschaftlich unsicheren Zeiten nachvollziehen.

Bernd Schade (links), hier mit Koch Marko Krause in der Küche des "Lucie Schulte". Der Chef selbst gibt gerne und großzügig Trinkgeld, wenn er Essen geht, sagt er. Bei seinen eigenen Gästen gibt es spendable und auch mal weniger spendable.
Bernd Schade (links), hier mit Koch Marko Krause in der Küche des "Lucie Schulte". Der Chef selbst gibt gerne und großzügig Trinkgeld, wenn er Essen geht, sagt er. Bei seinen eigenen Gästen gibt es spendable und auch mal weniger spendable. © Paul Glaser/glaserfotografie.de

Die Kellner im Ristorante Da Vinci am Demianiplatz machen hingegen andere Erfahrungen. Die Gäste geben dort etwa fünf bis sieben Prozent Trinkgeld, und das seit Jahren konstant trotz Inflation, sagt Inhaber Philipp Palme. Ein Durchschnittswert, wie er betont: "Es gibt solche Tage und solche." Für Bernd Schade, Chef im Altstadt-Restaurant "Lucie Schulte", ist Trinkgeld geben eine Selbstverständlichkeit, wenn er selbst zum Essen einkehrt. "Man merkt, dass Gastronomen mehr Trinkgeld geben" habe er erst kürzlich von seiner Tochter gespiegelt bekommen, als sie auswärts speisten. In seinem eigenen Restaurant wundert sich Schade zuweilen, dass Gäste kein oder nur wenig Trinkgeld zahlen, obwohl sie sagen "Es war sehr schön" und "Wir sind zufrieden".

Manchmal sei es auch umgekehrt, dann staunen er und sein Team, wie spendabel Gäste beim Trinkgeld sein können. Einen generellen Trinkgeld-Geiz will auch er nicht beobachtet haben. Dirk Kretschmer, Inhaber des "Steakhouse Amadeus" in Rauschwalde, meint ebenfalls, die Trinkgeld-Höhe seiner Gäste habe sich durch die Inflation nicht groß verändert. Na ja, vielleicht geringfügig, sagt er nach kurzem Überlegen. Einen Trinkgeld-Betrag zwischen 5 und 10 Prozent findet er persönlich für die Region Landkreis Görlitz angemessen.

Enrico Strauß, Service-Mitarbeiter eines Görlitzer Cafés, bekommt mit, dass vor allem die Zahl der Gäste, die ihre Rechnung mit EC-Karte begleichen, während und nach der Pandemie zugenommen habe. Die zahlen "eher weniger" Trinkgeld oder "lassen sich das genau ausgeben", so seine Beobachtung. Er sieht das kritisch. Grundsätzlich ist Trinkgeld in Deutschland dann steuerfrei, wenn der Gast es freiwillig zahlt und direkt an den Arbeitnehmer gibt. Das gilt zwar grundsätzlich auch für die Kartenzahlung. Aber Trinkgeld per Kartenzahlung zu geben birgt dennoch einige Nachteile, denn dabei gehen die Transaktionsgebühren auf den Gesamtumsatz inklusive des Trinkgeldes. Besser sei: Rechnung per Karte, Trinkgeld in bar, findet Strauß.

Gastwirt Dirk Kretschmer und seine Ehefrau Anja betreiben das Steakhouse Amadeus in Rauschwalde.
Gastwirt Dirk Kretschmer und seine Ehefrau Anja betreiben das Steakhouse Amadeus in Rauschwalde. © Paul Glaser/glaserfotografie.de

Eine mögliche Lösung aus dem Dilemma wird von dem Branchenverband "Dehoga Sachsen" empfohlen: die mit dem Smartphone abrufbare Plattform "Tippie". Sie soll es, so erklärt die Dehoga, Einzelpersonen und Teams ermöglichen, "bargeldlose Trinkgelder direkt von Gästen zu erhalten. Das Geld landet transparent und direkt auf dem privaten Konto des Mitarbeiters", beschreibt es der Verband auf seiner Webseite. Dazu sei noch nicht einmal eine App notwendig, Gäste können einfach einen QR-Code scannen und dann bargeldlos zahlen, direkt auf das Konto der Servicekraft.

"Tippie" soll über 30 Prozent mehr Trinkgeld bringen

Laut Dehoga Sachsen zeigen erste Erfahrungen, dass Kellner "über Tippie etwa 30 Prozent mehr Trinkgeld erhalten. Auch die kleine Transaktionsgebühr von fünf Prozent wird zumeist von den Trinkgeldgebern übernommen." Weitere Informationen gibt es unter www.tippie.de. In der Neißestadt scheint sich "Tippie" noch nicht groß herumgesprochen zu haben. "Ich kenne keinen einzigen Gastronomen hier, der das nutzt", sagt Enrico Strauß. Er ist eher skeptisch gegenüber solch mobilen bargeldlosen Lösungen, da gehe ein Stück Tradition verloren. Dirk Kretschmer hingegen meint, auf "Tippie" angesprochen: "Habe ich noch nie gehört, aber ich kann mich mal erkundigen." Er sei immer aufgeschlossen für so etwas.