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Kohleausstieg: Schlussspurt um die Forschungsgelder

Städte und Wissenschaftler wetteifern um das Großforschungszentrum in der Oberlausitz. Es geht um Hunderte Millionen Euro, um 10.000 Jobs, um Prestige. Mittendrin: Görlitz.

Von Sebastian Beutler
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Noch wird Braunkohle im Tagebau Nochten im Kreis Görlitz gefördert. Doch seine Tage sind durch den Kohleausstieg gezählt.
Noch wird Braunkohle im Tagebau Nochten im Kreis Görlitz gefördert. Doch seine Tage sind durch den Kohleausstieg gezählt. © SZ/Uwe Soeder

Das Ringen um das Großforschungszentrum in der Oberlausitz nimmt an Intensität zu. Abzulesen ist das an der hohen Frequenz, mit der die Bewerber öffentlich in der Region auftreten. Es ist neben dem Ausbau der Bahnstrecke Görlitz-Berlin das größte Einzelprojekt beim Kohleausstieg bis 2040.

Erst begann vor ein paar Tagen das Konsortium um den deutschen Astrophysik-Professor Günther Hasinger die Erkundungen für einen geeigneten Standort für sein spektakuläres Einstein-Teleskop im Kreis Bautzen.

Günther Hasinger will in der Oberlausitz ein Deutsches Zentrum für Astrophysik aufbauen.
Günther Hasinger will in der Oberlausitz ein Deutsches Zentrum für Astrophysik aufbauen. © André Schulze

Dann stellte das Team um den Dresdner Hochschulprofessor Manfred Curbach in einer Video-Veranstaltung am Mittwoch dieser Woche seine Vorstellungen über ein Großforschungszentrum zum Thema "Bauen der Zukunft" vor, in der Wissenschaftssprache Englisch kurz "Lausitz Art of Building" genannt.

Und schließlich legte Hasingers Crew am Donnerstag im Görlitzer Rathaus seine Organisationsstruktur fest.

Manfred Curbach von der TU Dresden will in einem neuen Großforschungszentrum das Bauen der Zukunft erforschen. Neue Materialien, weniger Energieverbrauch und CO2-Ausstoß sind nur einige Themen.
Manfred Curbach von der TU Dresden will in einem neuen Großforschungszentrum das Bauen der Zukunft erforschen. Neue Materialien, weniger Energieverbrauch und CO2-Ausstoß sind nur einige Themen. © Stefan Gröschel / TU Dresden

Konzepte müssen Ende April beim Bund liegen

All das geschieht nicht von ungefähr in diesen Tagen. Die Zeit drängt, Ende April müssen die Konzepte beim Bundesforschungsministerium in Berlin abgegeben werden. Bis dahin müssen die sechs ausgewählten Forschungs-Konsortien ihre Ideen ausarbeiten und mit Details untersetzen, Unterstützer aus Politik und Wirtschaft gewinnen und auch geeignete Standorte suchen.

In einer ersten Runde werden dann im Juni die Konzepte wissenschaftlich begutachtet. Es schließt sich eine zweite Prüfung an, in der dann weitere Kriterien eine Rolle spielen. Im Spätsommer könnte schließlich die Entscheidung fallen, zu welchem Thema der Bund die beiden Großforschungszentren in Sachsen errichtet.

Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer hatte auf diesen Zentren in den Verhandlungen über die Verteilung der Gelder für den Strukturwandel beharrt und dafür Millionen für die Startphase reservieren lassen. Angesiedelt werden sollen sie in der Oberlausitz und im Mitteldeutschen Revier bei Leipzig.

Hochpolitische Standortfrage

Gerade die Standortfrage war sofort eine hochpolitische. Weißwassers Oberbürgermeister Torsten Pötzsch forderte gemeinsam mit Bürgermeistern aus dem nördlichen Kreis Görlitz ultimativ von Kretschmer, das Großforschungszentrum in die vom Strukturwandel kernbetroffenen Gebiete anzusiedeln - also Weißwasser oder Hoyerswerda. Mittlerweile ist diese Debatte leiser geworden. Verstummt ist sie keineswegs, sie wird eher im Hintergrund ausgetragen.

Doch es gibt deutliche Fingerzeige. Zwar haben viele Kommunen sich ins Gespräch gebracht, auch seien tolle Angebote darunter, heißt es von vielen. Andererseits geht es um zwei Fragen: Wo kann der Strukturwandel am besten unterstützt werden? Und wo gibt es die besten Bedingungen für den Wissenstransfer von der Forschung zur Wirtschaft. Und das heißt vor allem: Wo gibt es einen Ort in der Oberlausitz, wo Wissenschaftler aus aller Welt gern für ein paar Jahre hinkommen, um hier zu forschen.

Denn diese Wissenschafts-Gemeinschaft wollen, ja müssen alle Großforschungszentren ansprechen. Schließlich geht es hier um Exzellenzforschung, wie sie sonst nur an wenigen europäischen Standorten stattfindet. Und deswegen geht es bei der Standortsuche auch viel um die weichen Standortfaktoren: Wo gibt es Offenheit für ausländische Wissenschaftler, wo gibt es ein attraktives Umfeld, städtisches Flair - und zugleich sollte der Standort so weit wie möglich von den Zentren Dresden und Cottbus liegen, dass das tägliche Pendeln zu dem neuen Forschungszentrum nicht wirklich eine Alternative darstellt. Ebenso bedeutsam ist eine räumliche Nähe zu polnischen und tschechischen Hochschulen und Universitäten.

Schnell rückte deshalb Görlitz in den Mittelpunkt der Überlegungen, wo beispielsweise sie Senckenberg-Gesellschaft eine ihrer größten Forschungsstätten hat. Manch einer hatte auch noch im Hinterkopf eine wirkmächtige Studie, die der Politik empfahl, sich auf Entwicklungskerne, sogenannte Ankerstädte, zu konzentrieren. Für die Oberlausitz waren damit vor allem Görlitz und mit Abstrichen Bautzen gemeint.

Es ist daher kein Zufall, dass alle Bewerber enge Kontakte zur Stadt Görlitz halten - und umgekehrt. Dabei ist genauso klar: Wenn der wissenschaftliche Campus des Großforschungszentrums nach Görlitz kommt, heißt das nicht, dass große Laboratorien oder Versuchshallen nicht auch woanders angesiedelt werden. Das wird ganz zwangsläufig so kommen. So wie es Hasinger vormacht, der kein Hehl daraus macht, seinen Campus in Görlitz aufzubauen, aber für das Einstein-Teleskop eben einen Standort bei Ralbitz-Rosenthal im Kreis Bautzen prüft.

In Ralbitz begannen jetzt die Bohrungen an einem möglichen Standort für das sogenannte Einstein-Teleskop, das zum Großforschungszentrum Deutsches Zentrum für Astrophysik in der Oberlausitz gehören würde.
In Ralbitz begannen jetzt die Bohrungen an einem möglichen Standort für das sogenannte Einstein-Teleskop, das zum Großforschungszentrum Deutsches Zentrum für Astrophysik in der Oberlausitz gehören würde. © dpa-Zentralbild

Welches Konzept macht das Rennen?

Genauso spannend wie die Wahl des Standortes ist auch die zur inhaltlichen Ausrichtung des Großforschungszentrums. Während es zunächst so schien, als wenn Hasinger mit seinem Deutschen Zentrum für Astrophysik die Nase vorn hat, entwickelt nun auch das Bauprojekt LAB besondere Dynamik und wird vehement von der Bauwirtschaft unterstützt.

Weniger ist von dem Europäischen Forschungsinstitut für Weltraumressourcen des Freiberger Professors Carsten Drebenstedt oder vom Klimafolgen-Forschungszentrum des Leipziger Professors Georg Teutsch - der als Chef des Leipziger Helmholtz-Zentrums für Umweltforschung bereits am deutsch-polnischen Casus-Institut in Görlitz beteiligt ist - sowie von zwei weiteren Projekten zu hören, die sich von vornherein eher auf den Leipziger Raum konzentriert hatten.

Beim Start des neuen deutsch-polnischen Forschungsinstituts Casus war Georg Teutsch (re.) als Geschäftsführer des Helmholtz-Zentrums für Umweltforschung Leipzig in Görlitz. Jetzt plant er ein Großforschungszentrum.
Beim Start des neuen deutsch-polnischen Forschungsinstituts Casus war Georg Teutsch (re.) als Geschäftsführer des Helmholtz-Zentrums für Umweltforschung Leipzig in Görlitz. Jetzt plant er ein Großforschungszentrum. © Nikolai Schmidt

Wissenschaftliche Prominenz vereint

Vor allem fahren die Ideengeber wissenschaftliche Prominenz auf, wie sie die Lausitz selten erlebt hat. So brachte Manfred Curbach am Mittwochabend in die Videokonferenz mit dazu Jan Wörner, einst Präsident der TU Darmstadt und zuletzt Generaldirektor der Europäischen Weltraumorganisation ESA, der sich nun um die Organisation des neuen Großforschungszentrums kümmern soll. Oder Edeltraud Günther, die an der TU Dresden eine Professur für Nachhaltigkeitsmanagement hat, die sie aber im Moment ruhen lässt, weil sie für die UNO Ressourcenmanagement erforscht. Oder Klaus Raps, der bei einem großen deutschen Baukonzern tätig war und sich darum kümmern soll, wie die Wirtschaft von den Erkenntnissen des Zentrums profitieren kann.

Konrad Bergmeister wurde aus Wien zugeschaltet. Er hatte am Bau des Brenner-Basistunnels mitgewirkt. Die Kunsthistorikerin und Denkmalpflegerin Stephanie Herold von der Uni Bamberg gehört genauso zum Team wie Gunter Henn, der ein bekanntes Architekturbüro mit Büros in München, Berlin und Peking führt. Und Curbach selbst ist nicht nur seit Jahren Professor an der TU Dresden, sondern erforscht neue Materialien und sitzt seit neun Jahren in der Nationalen Akademie der Wissenschaften Leopoldina.

So stellt sich das Architekturbüro von Gunter Henn den Campus für das Bau-Großforschungszentrum vor.
So stellt sich das Architekturbüro von Gunter Henn den Campus für das Bau-Großforschungszentrum vor. © CGI HENN

Günther Hasinger, selbst Direktor bei der Europäischen Weltraumorganisation ESA, versammelte für sein Astrophysik-Zentrum nicht minder prominente Wissenschaftler am Donnerstag in Görlitz. Darunter waren die Wissenschaftsmanager Heike Graßmann und Josef Puchta, der zuletzt kaufmännischer Vorstand des Deutschen Krebsforschungszentrums in Heidelberg war. Oder Sigurd Lettow, der die Verwaltung des Kernforschungszentrums Cern in Genf leitete. Oder Michele Heurs, die sich mit Gravitationswellen an der Uni Hannover sowie dem Max-Planck-Institut Potsdam beschäftigt. Schließlich auch Christian Stegmann, der als Astroteilchenphysiker eine Professur an der Universität Potsdam hat und an einem Forschungsinstitut der Helmholtz-Gesellschaft in Zeuthen führend beteiligt ist.

Das Zentrum muss einzigartig in Europa sein

Allen ist gemein, was Manfred Curbach auch für sein Bau-Forschungszentrum in Anspruch nimmt. In dieser Größenordnung, in dieser Breite und Tiefe entstünden hier Forschungszentren in der Oberlausitz, die es europaweit kein zweites Mal gibt. Das war genau die Forderung von der früheren Kanzlerin Angela Merkel, die immer darauf pochte, dass die Großforschungszentren europäische Exzellenzforschung betreiben. Das soll auch das ausschlaggebende Kriterium sein, wenn geschaut wird, ob der Bund diese Forschungszentren nach 2040 mit 90 Prozent der Kosten von geschätzt 150 Millionen Euro im Jahr bezuschussen wird. Die anderen zehn Prozent würde das Land beisteuern.

Modellzeichnung des geplanten Einstein-Teleskops vom Deutschen Zentrum für Astrophysik.
Modellzeichnung des geplanten Einstein-Teleskops vom Deutschen Zentrum für Astrophysik. © NIKHEF/dpa

Neben der wissenschaftlichen Prominenz wetteifern die Konzepte auch bei der Frage, wie sie sich auf den Strukturwandel auswirken. So stellt Manfred Curbach deutlich heraus, dass die Bauwirtschaft schon jetzt ein großer Wirtschaftsfaktor in der Region ist, dass immer gebaut wird, aber das Bauen seinen Anteil am Klimawandel reduzieren müsse. Er sieht für viele Mitarbeiter aus Kraftwerken oder der Tagebaue als Techniker eine neue Zukunft in den Laboratorien des Forschungszentrums.

Rückkehrer in die Region sollen ebenso angesprochen werden, was auch den etablierten Betrieben in der Oberlausitz die Sorge über eine mögliche Abwerbung von Fachkräften durch die Großforschungszentren nehmen sollen. Zu einer Zeit, wo bereits jetzt kaum noch in einer Branche ausreichend Nachwuchs in der Oberlausitz zu finden ist.

Die meisten rechnen mit rund 10.000 Jobs

Während in den Großforschungszentren mit rund 1.200 bis 1.500 Mitarbeitern gerechnet wird, was sich einfach aus der jährlichen Fördersumme errechnen lässt, sprechen die Konzepte für die einzelnen Zentren dann nochmal von 8.000 bis 10.000 neuen Arbeitsplätzen durch Ausgründungen oder Wachstum bestehender Firmen.

Sollte der Bau der Großforschungszentren Anfang 2023 beginnen, könnten sie ihre Arbeit 2016 voll aufnehmen. Doch auch schon bis dahin werden erste Forschungsprojekte verwirklicht. Auf keinen Fall will man Konkurrenz zu bereits anderen Vorhaben sein. So hat das Bau-LAB nicht vor, Baumaschinen zu erforschen. Vor einigen Jahren hatten Bund und Land bereits schriftlich vereinbart, in Görlitz einen Baumaschinen-Forschungspark Bauen 4.0 einzurichten. Federführend ist hier Jürgen Weber, ebenso von der TU Dresden, aber vom Institut für Mechatronischen Maschinenbau. Dafür ist ein Teil des Gewerbegebietes Klingewalde vorgesehen.

Egal, wer am Ende das Rennen macht. Egal, wo die Zentren hinkommen. Schon jetzt haben alle Beteiligten enorm viel Wissen und Kenntnisse zusammengetragen. Manfred Curbach sagt deshalb: "Wir wollen mit den Menschen in der Lausitz was Großes bewegen". Bei aller Konkurrenz: Das hätten seine Mitbewerber um die Fördermillionen nicht besser ausdrücken können.