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Risikogebiet: Jetzt spricht der Kreis Görlitz

Die meisten Corona-Fälle treten derzeit im privaten Bereich auf, sagt Landrat Bernd Lange. Er appelliert an die Solidarität.

Von Susanne Sodan
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Landrat Bernd Lange, Sozialdezernentin Martina Weber, Ulrike Waegner-Voigt vom Amtsärztlichen Dienst und Anja Pfalz vom Kreisinfektionsschutz gaben am Dienstag Auskunft zur Lage im Kreis.
Landrat Bernd Lange, Sozialdezernentin Martina Weber, Ulrike Waegner-Voigt vom Amtsärztlichen Dienst und Anja Pfalz vom Kreisinfektionsschutz gaben am Dienstag Auskunft zur Lage im Kreis. © Nikolai Schmidt (Archiv)

Rund 1.700 Anrufe gingen am Freitag beim Corona-Bürgertelefon des Landkreises ein. Viele hatten Fragen wegen des Beherbergungsverbotes für Gäste aus innerdeutschen Risikogebieten, das inzwischen in den meisten Bundesländern nicht mehr gilt. Am Freitag aber war es noch Thema - und Görlitz steuerte scharf auf den 50er-Grenzwert zu. Der war dann am Sonntag überschritten. Was die Fragen nicht weniger macht. Wie die Lage jetzt ist, sagten Landrat Bernd Lange und Vertreter des Gesundheitsamtes am Dienstag.  Wie viel getestet wird, wo die meisten Fälle aufkommen und warum der Kreis so schnell zum Risikogebiet werden konnte. 

Woher kommen die Corona-Neuinfektionen?

Im Frühjahr, als die Corona-Pandemie die Oberlausitz erreicht hatte, gab es mehrere Hotspots, darunter zwei Altenheime im Landkreis-Norden. Das ist jetzt anders, erklärte Sozialdezernentin Martina Weber. Infektionsherde sind keine einzelnen Einrichtungen mehr, sagt sie. Die meisten Neuinfektionen registriert der Landkreis im privaten Kreis, beispielsweise bei Familienfeiern, Zusammenkünften im Freundes- und Bekanntenkreis. 

Als Beispiel nennt der Kreis eine Familienfeier mit über 90 Teilnehmern, von denen am Ende 15 positiv auf das Coronavirus getestet wurden. Auch viele Einrichtungen wie Kitas und Schulen sind betroffen, „aber überwiegend handelt es sich dabei um Einzelfälle, Lehrer oder Kinder“, erklärt Anja Pfalz, Sachgebietsleiterin beim Infektionsschutz des Landkreises. Festzustellen sei außerdem ein Nord-Süd-Gefälle: Der Südkreis weist deutlich mehr Fälle aus. 

Wie viel wird auf Corona getestet?

Der Landkreis Görlitz hat pro Tag bei den Laboren eine Kapazität von maximal 100 bis 150 Tests zur Verfügung. Er lässt die Proben bei der Landesuntersuchungsanstalt in Dresden als auch beim medizinischen Labor Ostsachsen in Görlitz untersuchen, kann dort also täglich maximal 150 Proben einschicken. "Wir wissen, dass die Labore an den Grenzen arbeiten. Deshalb ist der Landkreis auf der Suche nach weiteren Testkapazitäten." 

Gerade in sozialen Netzwerken liest man immer wieder: Die Zahlen würden nur deshalb so rasant ansteigen, weil mehr getestet werde als im Frühjahr. Um das zu klären, müsste man die Positiv-Raten vergleichen. Welcher Prozentsatz der insgesamt getesteten Personen hatte ein positives Ergebnis? Das ist aber nach wie vor nicht feststellbar, weil nicht nur der Kreis Tests veranlasst. 

„Wir erfahren zwar von den Hausärzten die positiv getesteten Fälle“, denn Kreis-Aufgabe ist dann die Kontaktnachverfolgung. „Wir wissen auch, dass die Hausärzte mehr testen lassen als im Frühjahr, aus verschiedenen Gründen“, so Lange. Aber wie viel genau, erfahre der Kreis nicht. Das Gesundheitsamt veranlasst ebenfalls mehr Tests, allein deshalb, weil es deutlich mehr Kontaktpersonen gibt. 

Dennoch: Auch die Zahl der positiven Ergebnisse habe klar zugenommen, sowohl bei den von Hausarzt bei entsprechenden Symptomen als auch bei den vom Kreis bei den Kontaktpersonen veranlassten Tests, erklärt Martina Weber. „Was wir auch sehr genau beobachten, ist, dass die Verläufe schwerer sind als im Frühjahr."

Wie viele Kapazitäten haben Ärzte und Kliniken?

Derzeit werden 11 Corona-Patienten im Krankenhaus behandelt, zwei auf den Intensivstationen in Ebersbach-Neugersdorf und im Klinikum Görlitz. In den Krankenhäusern im Kreis stehen aktuell elf Intensivbetten und 39 normale Betten für Coronapatienten zur Verfügung. 

Diese Zahl könne aber jederzeit angepasst werden. Seitens der niedergelassenen Ärzte wurden dem Kreis aktuell noch keine Engpässe gemeldet. „Die Lage im Gesundheitssystem ist stabil“, so Martina Weber. Eine Frage war immer die nach Corona-Anlaufpraxen unter den Hausärzten. „Da sind wir im ständigen Kontakt, um zu schauen, wo Bedarf ist.“ 

Es gebe wöchentliche Konferenzen zwischen Kreis und der Kassenärztlichen Vereinigung. Gerade wenn Engpässe durch steigende Zahlen entstehen sollten, würde der Kreis die Anlaufpraxen unterstützen. Organisiert werden müssen sie aber zunächst von den Hausärzten. 

Der Kreis selbst hat sein Testzentrum seit einigen Wochen in Löbau. Es wurde nun ein Testbus organisiert, der bei Bedarf im Norden des Kreises zum Einsatz kommen soll, damit Patienten nicht durch den ganzen Kreis müssen. 

Warum wurde der Kreis so schnell zum Risikogebiet?

Es sind viele Faktoren. Einer davon, erklärte Martina Weber: Die Zahl der direkten Kontaktpersonen sei gestiegen. Infektionsketten, die nachverfolgt werden müssen und in denen dann auch mehr positive Fälle festgestellt werden, sind länger geworden. Deshalb ist die Kontaktnachverfolgung zum Schwerpunkt im Gesundheitsamt geworden. 

Ein anderer Punkt, der eine Rolle spiele und absehbar war: mehr Aufenthalt in geschlossenen Räumen statt, wie im Sommer, im Freien. Ob gerade bei den erhöhten Infektionszahlen im Südkreis die Nähe zu Tschechien, wo die Zahlen drastisch gestiegen sind, eine Rolle spielen können, darüber will Landrat Bernd Lange nicht spekulieren. „Belegen lässt sich das nicht.“ 

Er spricht einen Punkt an, der bereits am Montagabend bei einem Treffen mit Ministerpräsident Michael Kretschmer zur Sprache kam: Das Bewusstsein für Kontaktreduzierung und auch andere Maßnahmen wie das Maskentragen habe über den Sommer sehr nachgelassen. „Aber damit tut sich niemand einen Gefallen.“ Im März seien die Solidarität und Disziplin sehr hoch gewesen. Die Region kam glimpflich davon. 

Am stärksten hatte es den Kreisnorden getroffen mit zwei Hotspots in Altenpflegeheimen, auch Weißwasser habe vergleichsweise viele Fälle gehabt. „Vielleicht ist das Bewusstsein im Norden jetzt noch etwas stärker“, so Lange. Im Sommer wurden die Empfehlungen lockerer, die Zahlen sanken. 

Das habe Wasser auf die Mühlen derer gegeben, die nach dem Motto argumentieren: Im Sommer, wo es Lockerungen gab, ist je nichts passiert, also können die Maßnahmen nicht so wichtig sein. Im Sommer seien aber die äußeren Faktoren andere gewesen, sagt Lange. „Die Leute wiegen sich in Sicherheit und müssen plötzlich wieder umdenken.“

Wo gibt es für Urlauber einen Test - und wer bezahlt ihn?

Das Beherbergungsverbotes für Gäste aus innerdeutschen Risikogebieten, sollten sie keinen negativen Coronatest vorweisen können, sorgte vorige Woche für viel Unmut und Unklarheiten, auch im Kreis Görlitz, der am Freitag schon nah an der Grenze des 50er-Wertes lag. Inzwischen gilt das Beherbergungsverbot in den meisten Bundesländern nicht mehr. 

Aktuell ist es noch in Sachsen-Anhalt und Schleswig-Holstein. Wo bekommen Görlitzer, die dort für Herbstferien gebucht haben, nun einen Test her? Anlaufpunkt ist dann der Hausarzt, sagt Ulrike Waegner-Voigt vom Amtsärztlichen Dienst. 

„Ich weiß, es hängen Kosten dran“, so Bernd Lange, und viele haben vielleicht schon vor der aktuellen Entwicklung gebucht, „dennoch sollte sich aber jeder in der eigenen Verantwortung noch mal überlegen, ob er jetzt wirklich verreisen möchte.“ Die Kosten müssen Reisende für den Test selber bezahlen.

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