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Das ungewöhnliche Ende von Ralf Becker als Dynamo-Sportchef

Dynamo Dresden entlässt nicht den Trainer, sondern Sportchef Ralf Becker - mit sofortiger Wirkung. Der Zeitpunkt wirft ebenso Fragen auf wie die Begründung des Aufsichtsrates.

Von Daniel Klein
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Ralf Becker unter dem Dynamo-Logo – diese Zeiten sind nun vorbei. Knapp vier Jahre war er Sportchef in Dresden.
Ralf Becker unter dem Dynamo-Logo – diese Zeiten sind nun vorbei. Knapp vier Jahre war er Sportchef in Dresden. © dpa/PA/Robert Michael

Dresden. Die Pressemitteilung wurde vom Verein um Punkt 18 Uhr verschickt. Eine Neuigkeit war es da nicht mehr, der Inhalt aber trotzdem mehr als brisant. Das lässt sich allein daran ablesen, dass mehrere Stunden vergingen zwischen dem Zeitpunkt, als Ralf Becker erfuhr, dass er nicht mehr Sportdirektor bei Dynamo Dresden ist, und der offiziellen Verlautbarung. An der Formulierung wurde wohl von einigen Seiten länger gefeilt.

Für die Entlassung eines Geschäftsführers ist bei Dynamo der Aufsichtsrat verantwortlich. Der begründete die sofortige Trennung – zehn Spieltage vor dem Saisonende – damit, "dass das notwendige Vertrauen dafür fehlt, dass unsere ambitionierten Vereinsziele kurz- und mittelfristig gemeinsam mit Ralf Becker realisiert werden können".

Die Kündigung und deren Begründung lässt viel Platz für Spekulationen, zumal ein Sportdirektor keinen direkten Einfluss auf die Mannschaft hat und somit auch nicht unmittelbar verantwortlich ist für die Krise, in die Dynamo seit Jahresbeginn geschlittert ist. Trotzdem erklärt Aufsichtsratschef Jens Heinig in der Mitteilung: "Die von uns angestoßene Veränderung bietet die Möglichkeit, mit Identifikation, Fleiß und Führungsstärke zurück auf die Erfolgsspur zu finden. Genau diese Chance möchten und müssen wir jetzt wahrnehmen."

Weigerte sich Ralf Becker, Trainer Anfang zu entlassen?

Stimmen wie zuletzt bei den Schwarz-Gelben die Ergebnisse nicht mehr und gerät das große Saisonziel Aufstieg in Gefahr, muss in der Regel der Trainer seinen Stuhl räumen. Dafür ist der Geschäftsführer Sport zuständig. Womöglich weigerte sich Becker, Markus Anfang – mit dem er bei Holstein Kiel große Erfolge gefeiert und den er im Sommer 2022 nach Dresden geholt hatte – zu feuern. Und musste deshalb nun selbst gehen. Die Abstimmung im Kontrollgremium sei einstimmig ausgefallen, heißt es in der Mitteilung.

Becker war im Sommer 2020 nach dem Abstieg in die 3. Liga zu Dynamo gekommen, er sollte eine komplette Neuausrichtung des sportlichen Bereichs und eine Professionalisierung einleiten. Nach der sofortigen Rückkehr in die 2. Bundesliga musste die Mannschaft nur ein Jahr später wieder in die 3. Liga zurück – auch, weil der von Becker verpflichtete Guerino Capretti keins der zwölf Spiele gewinnen konnte.

Ralf Becker bekam regelmäßig Gegenwind bei Dynamo

Viele Fans und Mitglieder fremdelten mit dem Württemberger, der es vermied, eine emotionale Nähe zu seinem Arbeitgeber zu zeigen. Nicht zufällig taucht in der Mitteilung deshalb das Wort "Identität" auf. Bei den Mitgliederversammlungen bekam Becker regelmäßig den Gegenwind zu spüren, selbst wenn er nur das tat, was zu den Aufgaben eines Sportchefs gehört, wie etwa die Gründung einer Mädchen- und Frauenfußballabteilung.

Dieser Argwohn war auch im Aufsichtsrat zu spüren. Bereits die letzte Vertragsverlängerung kam nur mit einer knappen Mehrheit durch. Auch das Verhältnis zu dem im vergangenen Sommer zurückgetretenen kaufmännischen Geschäftsführer Jürgen Wehlend soll kein entspanntes gewesen sein. Für die laufende Saison konnte Becker dennoch eine Aufstockung des Profikader-Etats um zwei Millionen Euro durchsetzen. Die Rückkehr in die 2. Bundesliga sollte mit allen Mitteln erreicht werden.

Stärkster Kader, doch die Punktausbeute eines Absteigers

Nach Einschätzung der meisten Drittliga-Konkurrenten hat Dynamo auch den stärksten Kader, vielleicht sogar den teuersten. Im gesamten Kalenderjahr 2023 konnte die Mannschaft überzeugen, stellte Rekorde auf, doch seit zwei Monaten gleicht die Punktausbeute eher die eines Absteigers. Becker hatte seine weitere Zukunft bei Dynamo wie Anfang an den Aufstieg geknüpft, nur in diesem Fall hätten sich die Verträge verlängert.

Für den 53-Jährigen, der vor seiner Station in Dresden als Trainer beim SSV Ulm, als Nachwuchschef beim VfB Stuttgart und als Sportchef bei Holstein Kiel und dem Hamburger SV gearbeitet hatte, kam die plötzliche Trennung aber wohl auch überraschend. Vergangene Woche noch hatte er Sächsische.de ein ausführliches Interview zur Reform der Junioren-Bundesligen und die Folgen für Dynamo gegeben, am Dienstag war er telefonisch nicht zu erreichen.

Die Aufgaben von Becker übernimmt laut Vereinsmitteilung kommissarisch Kommunikations-Geschäftsführer David Fischer, der dabei von Berater Ulf Kirsten unterstützt wird. Einen für Mittwoch geplanten Interviewtermin mit Sächsische.de sagte der Ex-Nationalspieler kurzfristig ab. In den kommenden Tagen will der Aufsichtsrat über eine Neubesetzung des Postens beraten und sich nicht weiter äußern.

Doch was bedeutet Beckers Rauswurf nun für Anfang? Der bleibt zwar weiter im Amt, doch er hat einen großen Fürsprecher im Verein verloren, seine Position wurde dadurch geschwächt. Es gilt als wahrscheinlich, dass die beiden Heimspiele gegen 1860 München und Ulm ein Ultimatum sind. Gewinnt Dynamo die nicht, wird wohl auch der Trainer gehen müssen. Becker kann das nicht mehr verhindern.