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Kohle-Millionen: Kreis Bautzen im Nachteil?

Bahnstrom, Kulturhaus, Kita-Bau: Etwa 25 Projekte im Kreis Bautzen erhalten Strukturwandel-Gelder. Trotzdem gibt es nach wie vor viel Kritik.

Von Tilo Berger
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Der Kohleausstieg kommt, zum Ausgleich fließen Strukturwandel-Millionen. Doch über deren richtigen Einsatz gibt es Debatten.
Der Kohleausstieg kommt, zum Ausgleich fließen Strukturwandel-Millionen. Doch über deren richtigen Einsatz gibt es Debatten. © Steffen Unger

Bautzen. Holm Große könnte eigentlich zufrieden sein. Und der Oberbürgermeister von Bischofswerda ist ja auch "sehr dankbar, dass die Strukturentwicklung durch Bund und Land gefördert wird". Seine Stadt, die ja mal gar nicht so nahe an Tagebauen und Kraftwerken liegt, bekommt aus dem 40 Milliarden Euro schweren Strukturwandel-Fonds für die Kohlereviere Geld für die Wiederbelebung des ehemaligen Kreiskulturhauses als Kommunal- und Kulturzentrum. Und auch die sächsische Landesuntersuchungsanstalt soll von Dresden nach Bischofswerda ziehen.

Trotzdem findet Holm Große (Freie Wähler) auch kritische Worte. Das ganze Verfahren, bevor überhaupt ein Euro fließt, müsse "einfacher in der Antragstellung und schneller in der Bearbeitung" sein. Und ihm fehlt in der Förderliste etwas Entscheidendes: Geld für Dinge, die dem heimischen Mittelstand und Handwerk das tägliche Leben leichter machen. Große denkt da beispielsweise an die Entwicklung von Gewerbegebieten und einen attraktiven Nahverkehr.

Bischofswerdas Oberbürgermeister Holm Große kann sich freuen: Die Stadt bekommt für ihr Kulturhaus Geld aus dem Fördertopf für den Strukturwandel in Kohleregionen.
Bischofswerdas Oberbürgermeister Holm Große kann sich freuen: Die Stadt bekommt für ihr Kulturhaus Geld aus dem Fördertopf für den Strukturwandel in Kohleregionen. © SZ/Uwe Soeder

Nur wenige Projekte bringen Arbeitsplätze

Mit dieser Ansicht steht er nicht allein, ergab eine Umfrage von Sächsische.de. Generell richten sich alle Kritiken auf drei Punkte: Erstens zu viel Bürokratie, zweitens zu wenig neue Arbeitsplätze, drittens kein Bezug zum Strukturwandel.

So erwartet Dana Dubil, die Ostsachsen-Chefin des Deutschen Gewerkschaftsbundes, "dass die Projekte ernsthaft einen Bezug zum Strukturwandel haben und der Schaffung von Arbeitsplätzen dienen". Ein Projekt vermisst sie ganz: den vor einem Jahr groß angekündigten Testring für Schienenfahrzeuge in Niesky. "Wir finden diesen Testring für die regionalen Betriebe der Branche überlebenswichtig", denkt sie an den hiesigen Waggonbau.

Etwa 25 Projekte enthält die erste Strukturwandel-Liste von Bund und Land, und in der Tat versprechen nur wenige davon neue Arbeitsplätze auf Dauer. Dazu gehören etwa die geplante Ansiedlung eines Großforschungszentrums in der Oberlausitz und der Ausbau des Fischereihofs Kleinholscha bei Neschwitz. Einige Projekte schaffen zumindest eine Zeitlang Arbeit für Firmen, wie der Ausbau der Bahnstrecke zwischen Radeberg und Hosena über Kamenz sowie die Neubauten eines Kultur- und Begegnungszentrums in Rodewitz und einer Kita in Ralbitz-Rosenthal.

Eine wichtige Botschaft aus Dresden fehlt

Zu etwas mehr Weitsicht rät der Kamenzer Oberbürgermeister Roland Dantz (Freie Wähler). Im Moment gehe es doch vor allem darum, erste Zeichen zu setzen. Sachsens Staatsregierung in Dresden täte gut daran, öffentlich klarzustellen, dass zuerst landespolitisch bedeutsame Projekte angeschoben würden - "um dann in den Folgejahren der Region weiter unter die Arme zu greifen. Eine solche Botschaft könnte helfen, den einen oder anderen Unmut zu dämpfen."

Industrielle Entwicklungen hält Dantz vor allem im Baum Bautzen, Hoyerswerda, Kamenz und Radeberg für denkbar: "Nicht überall kann Wachstum entstehen, sondern nur dort, wo die Voraussetzungen dafür zumindest in Ansätzen sichtbar sind. Von der Strahlwirkung der wenigen Städte partizipiert der ländliche Raum erheblich."

"Alle in Gang gebrachten Strukturwandelprojekte erhöhen die Zukunftschancen", urteilt Wilfried Rosenberg vom Bundesverband mittelständische Wirtschaft. Aber: Der Inhalt und die gesetzten Prioritäten "finden nicht unsere ungeteilte Zustimmung. Wenn schon Geld nicht in Investitionen der heimischen Mittelstandsbetriebe direkt fließt, dann aber in solche Projekte, die dazu beitragen, dass sich im Mittelstand gut bezahlte, neue Arbeitsplätze mit fleißigen Mitarbeitern entwickeln können."

Wenn jetzt ohnehin geplante Maßnahmen, wie der Weiterbau der Bundesstraße 178 im Raum Zittau, plötzlich als Strukturwandel verkauft werden, sind das in Rosenbergs Augen "Mogelpackungen". Auch bei Alexander Ahrens (SPD) sorgen solche Vorhaben "für Irritationen", sagt der Bautzener Oberbürgermeister. Und er könne auch den von Politikern vorhergesagten Nutzen der geplanten ICE-Strecke Berlin-Cottbus-Görlitz "nicht nachvollziehen". Da werde "viel Geld verbaut".

Trotzdem sieht er die Region Bautzen nicht benachteiligt. "Wir sind ganz gut bedacht, vor allem im Kultursektor", sagt Ahrens und nennt als Beispiel das geplante sorbische Kultur- und Begegnungszentrum am Lauengraben. "Auf gutem Weg" sieht der Rathauschef auch die Vorbereitungen für das geplante Logistikzentrum am südlichen Stadtrand.

Bundeswirtschaftsminister sagt Unterstützung zu

Die Sorge um Arbeitsplätze trieb jetzt den Bautzener CDU-Landtagsabgeordneten Marko Schiemann und mehrere Unternehmer aus der Region ins Büro von Bundeswirtschaftsminister Peter Altmeier (CDU). Ein Strukturbruch und darauf folgende Massenabwanderung wie nach 1990 dürfe sich nicht wiederholen, mahnten die Oberlausitzer. Die heutige Schülergeneration brauche ein Signal, dass sie hier Arbeit und Lohn bekäme. "Dafür müssen die neuen Arbeitsplätze früher entstehen, als die in der Kohle wegfallen", so Schiemann.

Dazu legten die Unternehmer einige Vorschläge auf Altmeiers Tisch: Sie könnten selbst zusätzliche Arbeitsplätze schaffen, wenn sie bei eigenen Investitionen höhere Zuschüsse vom Staat bekämen. Auch steuerliche Begünstigungen für Firmen im Kohlerevier wurden angeregt. Und der Bund solle helfen, Boxberg mitten im Dreieck zwischen Bautzen, Weißwasser und Hoyerswerda zum Industriepark zu entwickeln - bevor das Kraftwerk schließt.

Der Bundeswirtschaftsminister habe am Ende des rund eineinhalbstündigen Gesprächs seine Unterstützung zugesagt, resümiert Schiemann. Und Altmeier wolle alles verbindlich seinem möglichen Nachfolger übergeben, sollte er nach der Bundestagswahl am 26. September künftig nicht mehr Wirtschaftsminister sein.