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Top Ten der sächsischen Forschung 2023

Viele Erfindungen und Entdeckungen hat die SZ auch 2023 wieder vorgestellt. Aus allen hat das Wissens-Ressort die zehn Favoriten ausgewählt.

Von Jana Mundus & Stephan Schön
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Die Arktis erwärmt sich schneller als alle anderen Regionen. Leipziger Wissenschaftler erforschen die Ursachen so wie hier 2017 mit der Polarstern. Jetzt wird dies weitere vier Jahre fortgesetzt.
Die Arktis erwärmt sich schneller als alle anderen Regionen. Leipziger Wissenschaftler erforschen die Ursachen so wie hier 2017 mit der Polarstern. Jetzt wird dies weitere vier Jahre fortgesetzt. © SZ/Stephan Schön

1. Arktis schickt warme Winter

Die Hitzewellen im Sommer. Der Dauerstarkregen im Westen Deutschlands. Der milde Winter bei uns. Es gibt wohl eine maßgebliche Ursache für all dies: die Arktis. Diese Region erwärmt sich schneller als jede andere auf der Erde. Mit Folgen. Die veränderte Arktis regiert das Wetter neu. Auch bei uns.

Seit acht Jahren leitet das Leipziger Uni-Institut für Meteorologie (LIM) einen Sonderforschungsbereich in Deutschland. Daran maßgeblich beteiligt ist auch das Leipziger Tropos als Atmosphären-Institut. AC³, die Arktische Verstärkung soll molekulare Ursachen in der Physik und Chemie von Wasser und Wolken untersuchen, die letztlich atmosphärische Systeme über Tausende Kilometer beeinflussen. Um diese bisher unzureichend verstandenen Zusammenhänge zu ergründen, bekommt AC³ ab Januar nun weitere 19 Millionen Euro für die kommenden vier Jahre. An die 90 Wissenschaftler werden insgesamt daran beteiligt sein.

Die Wissenschaftler haben in den vergangenen Jahren bereits mehrere große Expeditionen in die Arktis unternommen. Diese Daten liegen nun vor. Damit sollen jetzt die ganz großen Fragen beantwortet werden, sagt Manfred Wendisch, Forschungschef von AC³. Letztlich geht es darum, was wie stark auch unser Wetter hier beeinflusst. Und was in Zeiten des Klimawandels noch auf uns zukommt.

Die SZ hatte die Leipziger Wissenschaftler 2017 fünf Wochen lang auf dem Eisbrecher Polarstern begleitet und eine Video-Dokumentation zusammengestellt. 2022 war die SZ mit den Leipziger Forschern auf der größten deutschen Flugexpedition in der Arktis unterwegs. Die Reportage dazu wurde jüngst mit dem Medienpreis Luft- und Raumfahrt ausgezeichnet.

2. Ein Meteorit in Dresden

Bei der Analyse der Gammastrahlung entsteht ein Spektrum. Daraus lesen die Experten ab, aus welchen Stoffen der Meteorit besteht.
Bei der Analyse der Gammastrahlung entsteht ein Spektrum. Daraus lesen die Experten ab, aus welchen Stoffen der Meteorit besteht. © www.loesel-photographie.de

Am 25. April 2023 kracht ein Meteorit auf ein Haus in Elmshorn. Der wird später im Untertagelabor des VKTA – Strahlenschutz, Analytik & Entsorgung Rossendorf
e. V. im Dresdner Felsenkeller analysiert. Nicht der erste Fund dieser Art, den die Experten untersuchen. Ihr Gammaspektrometer reagiert auf die Strahlung der Gesteine – und erzählt von ihrer Reise durchs All.

3. Die Reise der Tiere

Icarus 2.0 ist das bislang größte weltweite Projekt zur Tierbeobachtung. Tausende Tiere wurden und werden dafür mit Minisendern ausgestattet – entwickelt in Dresden. Bisher funkten sie ihre Daten ans russische Modul der ISS. Künftig sammelt ein Kleinsatellit im All die Daten der Sender ein. Die Nachrichtentechnik dafür stammt von der HTWK Leipzig. Mit den Informationen wollen Wissenschaftler das Verhalten der Tiere auf neue Art erforschen – vor allem, um bedrohte Arten besser zu schützen. Ein erstes Großprojekt sind 2025 die Rußseeschwalben. Sie sind extreme Flieger, die auch im Flug schlafen.

4. Sichtbare Strahlen

Diese Entdeckung kann das Leben von Krebspatienten retten. Wissenschaftlern der Medizinischen Fakultät der TU Dresden und des Helmholtz-Zentrums Dresden-Rossendorf gelang es erstmals, einen Protonenstrahl während der Bestrahlung sichtbar zu machen. Mit Hilfe eines MRT-Geräts konnten sie ihn in Echtzeit und 3-D beobachten. Die Krebsbehandlung mit Protonenstrahlen wird damit präziser und auch wirksamer, hoffen die Forscher. Weiterer positiver Effekt: Weil der nun sichtbare Strahl exakter gelenkt werden kann, sind weniger Nebenwirkungen und bessere Heilungschancen zu erwarten.

5. Der Ursprung unserer Sprache

Wie ist unsere Sprache entstanden? Eine internationale Studie unter Leitung des Leipziger Max-Planck-Instituts für evolutionäre Anthropologie fand es 2023 heraus. Dafür nutzten die Forscher modernste Computertechnik. Sie erstellten einen riesigen Datensatz. Der beinhaltete den Wortschatz von 161 Sprachen, darunter auch 52 alte wie Latein oder Altgriechisch. Das Ergebnis: Der Ursprung der indogermanischen Ursprache liegt etwa 8.100 Jahre zurück. Vor rund 7.000 Jahren spalteten sich dann fünf Hauptzweige ab. Der Studie zufolge befindet sich die Urheimat der Sprache demnach südlich vom Kaukasus.

6. Knochen erneuern

Bis zum 50. Lebensjahr kann unser Körper Knochen stetig erneuern. Im Alter jedoch verliert der Mensch diese Fähigkeit. Schuld sind zwei Proteine. Wie sich diese blockieren lassen, fanden Forscher des Biotec, der Medizinischen Fakultät und des Max-Bergmann-Centrums für Biomaterialien der TU Dresden heraus. Dafür entwarfen sie neuartige Moleküle. Die fangen die Proteine ein und schalten sie aus – der Knochen heilt. Eingesetzt werden könnten die Moleküle in Materialien, die bei der Behandlung von Knochenbrüchen zum Einsatz kommen. Aber auch altersbedingte Schäden ließen sich behandeln.

7. Ötzis Gene

Veranlagung zu Alters-Diabetes und Übergewicht - neue Erkenntnisse zu Ötzl lieferten 2023 Leipziger Wissenschaftler.
Veranlagung zu Alters-Diabetes und Übergewicht - neue Erkenntnisse zu Ötzl lieferten 2023 Leipziger Wissenschaftler. © Südtiroler Archäologiemuseum

Leipziger Forscher vom Max-Planck-Institut Eva analysieren Ötzis Gene. Sie finden heraus, woher er kam und dass er anders als erwartet aussah. Archäogenetiker Johannes Krause hat mit seinem Team das Genom der Gletschermumie neu bestimmt. Ötzi hatte anatolische Vorfahren, dunkle Haut – und wohl eine Glatze. Es gibt eine Veranlagung zu Diabetes Typ 2 und Übergewicht.

8. Saubere Algen

Sie ist winzig klein, kann aber Großes: die Rotalgen-Art Galdieria sulphuraria. In der mikrobiellen Welt ist sie ein echtes Multitalent. Das Beeindruckendste: Sie kann ihren Stoffwechsel umstellen – von der Zuckerherstellung auf den Abbau von Zucker und anderen organischen Materialien. Letzteres nutzen Forscher der HTW Dresden zum Entfernen von Zucker aus dem Abwasser der Lebensmittelindustrie. Aus der entstandenen pulverartigen Biomasse lässt sich dann das Pigment Phycocyanin gewinnen. Diesen natürlichen Farbstoff nutzen Lebensmittel- und Kosmetikhersteller.

9. Ariane 6

2024 soll die neue europäische Rakete Ariane 6 ins All starten. Wichtige Bauteile dafür wurden in Dresden getestet.
2024 soll die neue europäische Rakete Ariane 6 ins All starten. Wichtige Bauteile dafür wurden in Dresden getestet. © ESA

Die neue Europarakete Ariane 6 soll 2024 endlich einsatzbereit sein. Sie wird Europas Raumfahrt wettbewerbsfähiger machen. Die wichtigsten Strukturbauteile wurden bis zum Bersten in Dresden getestet. Es war Sachsens bisher größtes Raumfahrtprojekt und ist nun abgeschlossen. Die Dresdner Firma Applus-IMA hat Prüfstände konstruiert und die Belastungstests durchgeführt.

10. Künstliche Nase

Sie fressen ganze Wälder kahl. Borkenkäfer sind schon seit Jahren eine Gefahr für Sachsens Bäume. Ein neuartiges Gerät soll sie künftig frühzeitig entdecken. Das basiert auf feiner Sensorik und Künstlicher Intelligenz. Ein Zusammenschluss sächsischer Experten aus Forstwissenschaft, Physik, Chemie und Ingenieurwissenschaft zeigte 2023, dass die Sensoren bereits Schädlingsduftstoffe erkennen. Nun trainieren sie die Technologie auf die typischen Lockstoffe der Borkenkäfer, der Schmetterlingsart Nonne und des Eichenprozessionsspinners.