SZ + Dynamo
Merken

„Ralf Minge ist nicht abserviert worden“

Dynamo-Legende und Aufsichtsrat Dixie Dörner spricht über die sportliche Lage – und den Abschied der Vereinsikone.

Von Sven Geisler
 5 Min.
Teilen
Folgen
NEU!
Hans-Jürgen „Dixie“ Dörner war bei Dynamos Spiel gegen Fürth als „Geist“ im Stadion. Seine Einschätzung: „Das war furchtbar.“ Trotzdem sieht er für die Schwarz-Gelben am Freitag eine gute Chance gegen den Hamburger SV.
Hans-Jürgen „Dixie“ Dörner war bei Dynamos Spiel gegen Fürth als „Geist“ im Stadion. Seine Einschätzung: „Das war furchtbar.“ Trotzdem sieht er für die Schwarz-Gelben am Freitag eine gute Chance gegen den Hamburger SV. © Matthias Rietschel

Dresden. Am Tag danach ist Hans-Jürgen „Dixie“ Dörner immer noch sauer, auch wenn er unaufgeregt wirkt. Der einstige Weltklasse-Fußballer ärgert sich über die letzte Szene bei Dynamos 1:1 am Dienstagabend gegen Greuther Fürth. „Da muss der Video-Schiedsrichter schon auf dem Weg nach Hause gewesen sein“, sagt der 69-Jährige trocken. „Für mich war das ein klarer Elfmeter.“ Doch der Referee wertete die Attacke von Fürths Paul Jaeckel gegen Dynamos Nachwuchsstürmer Ransford-Yeboah Königsdörffer anders, der Beobachter am Bildschirm griff nicht ein. Abpfiff.

„Wenn er den Strafstoß gibt, gewinnen wir vielleicht mit 2:1. Das wäre natürlich in unserer Situation besser gewesen“, meint Dörner, „aber mit dem Punkt können wir leben.“ Dynamo hadert, darf im Abstiegskampf aber weiter hoffen. Nun folge die Woche der Wahrheit mit dem Heimspiel gegen Hamburg am Freitag sowie der anschließenden Deutschland-Rundreise nach Bielefeld, Kiel und Sandhausen – keine guten Voraussetzungen im Kampf um den Klassenerhalt.

Dörner beklagt, dass die Deutsche Fußball-Liga ihr Ding durchzieht und die Saison nicht verlängert hat, obwohl die Dresdner zum Neustart wegen positiver Corona-Tests zwei Wochen in häusliche Quarantäne mussten. „So, wie es läuft, ist es kein fairer Wettbewerb.“

Trainer braucht Fingerspitzengefühl

Einem Antrag von Dynamo, in der zweiten Liga gemeinsam später zu beginnen, sollen lediglich Aue und Kiel zugestimmt haben. „Unsere Mannschaft kann bis zum Saisonende de facto nicht trainieren, daraus resultieren die ständigen personellen Wechsel“, sagt Dörner, der Trainer Markus Kauczinski gerade nicht um dessen Job beneidet. „Das ist eine Herkulesaufgabe.“

Hans-Jürgen "Dixie" Dörner (hinten links) und Ralf Minge haben einst gemeinsam für Dynamo gespielt und große Erfolge gefeiert, in den vergangenen gut sechs Jahren arbeiteten sie als Aufsichtsrat und Sportgeschäftsführer zusammengearbeitet. Minges Vertrag
Hans-Jürgen "Dixie" Dörner (hinten links) und Ralf Minge haben einst gemeinsam für Dynamo gespielt und große Erfolge gefeiert, in den vergangenen gut sechs Jahren arbeiteten sie als Aufsichtsrat und Sportgeschäftsführer zusammengearbeitet. Minges Vertrag © Lutz Hentschel

Es werde bei der Belastung durch den engen Rhythmus immer Spieler geben, die angeschlagen sind. „Dann stellt sich die Frage, ob er sie trotz der Wehwehchen spielen oder lieber erst mal draußen lässt wie Simon Makienok.“ Der Däne hatte Probleme mit der Hüfte, wurde zur zweiten Hälfte eingewechselt und erzielte das Tor zum 1:1. „Und jetzt stellt sich schon wieder die Frage: Wie geht es ihm bis Freitag? Das erfordert sehr viel Fingerspitzengefühl.“

Mit dem HSV kommt nun ein Gegner ins leere Rudolf-Harbig-Stadion, der aufsteigen will, was Dörner allerdings weniger schreckt. „Gegen die Mannschaften aus der oberen Tabellenhälfte haben wir uns nicht schlecht angestellt, zuletzt gegen Stuttgart hatten auch wir unsere Möglichkeiten, wäre ein Punkt drin gewesen.“ Mit dem könnte er – zumindest vorab – gegen den HSV leben, mindestens sieben aus den verbleibenden fünf Partien müsste Dynamo nach seiner Rechnung holen. „Ich denke, mit 35 Punkten erreicht man die Relegation.“

"Können nicht alles auf die Pandemie schieben"

Vor den Spielen gegen den Dritten der 3. Liga bliebe dann gut eine Woche Zeit, um zu Luft zu holen. Ein Klassenerhalt unter den besonderen Umständen wäre „herausragend“, meint Dörner, er betont aber: „Wir können nicht alles auf die Pandemie schieben, sondern dürfen nicht vergessen, dass wir eine grottenschlechte Hinrunde gespielt haben und mit 13 Punkten aus 18 Spielen in die Winterpause gegangen sind. Das hängt uns immer noch an.“

Für die Aufholjagd könnte gerade Dynamo seine Fans dringend gebrauchen, sagt „Dixie“, der bei den beiden Heimspielen als „Geist“ im Stadion sein durfte. „Das war furchtbar“, sagt er. „Ich hoffe, dass bald wieder Zuschauer zugelassen werden, damit man auch wieder vernünftige Zweikämpfe sieht.“ Seine Einschätzung: Die Spieler sind zurückhaltender. „Wenn in Dresden 30.000 Zuschauer da sind und die Stimmung hochkocht, geht es auch auf dem Platz emotionaler und körperlicher zur Sache, ohne dass es unfair sein muss.“ Diese Atmosphäre fehle vor allem den vermeintlich kleinen Mannschaften, sagt Dörner und nennt als weiteres Beispiel Union Berlin in der Bundesliga. „Auch sie haben ein enges Stadion, in dem sie von ihren Fans besonders gepusht werden.“

Hans-Jürgen "Dixie" Dörner ist Ehrenspielführer von Dynamo. Als Libero spielte er für die Schwarz-Gelben einst 392-mal in der DDR-Oberliga, kam in 65 Partien im Europapokal zum Einsatz. Außerdem bestritt er 100 Länderspiele für die DDR. Auf den Fotos nebe
Hans-Jürgen "Dixie" Dörner ist Ehrenspielführer von Dynamo. Als Libero spielte er für die Schwarz-Gelben einst 392-mal in der DDR-Oberliga, kam in 65 Partien im Europapokal zum Einsatz. Außerdem bestritt er 100 Länderspiele für die DDR. Auf den Fotos nebe © Robert Michael

Was Dynamo gerade jetzt sehr gut gebrauchen könnte. „Dann kommst du besser in den Kampfmodus, in dem du über deine Leistungsgrenze gehst“, sagt Dynamos Rekordspieler in der DDR-Oberliga mit 392 Einsätzen. Mit den Schwarz-Gelben gewann er zwischen 1971 und 1986 je fünfmal den Meistertitel und den Pokal.

Seit November 2013 ist Dörner im Aufsichtsrat, hat also mit entschieden, den Vertrag von Sportgeschäftsführer Ralf Minge nicht über den 30. Juni hinaus zu verlängern. Er verweist auf die Stellungnahmen beider Seiten, damit sei alles gesagt. Allerdings steht der Aufsichtsrat nach Minges Erklärung dumm da. „Daran haben wir uns bereits gewöhnt“, meint Dörner lakonisch. Das Kontrollgremium habe ihn erst gebeten, bis Jahresende weiterzumachen, dann aber nur einen Vertrag bis 30. September vorgelegt, lautet Minges Version. Damit habe der Aufsichtsrat von eigenen Unzulänglichkeiten bei der Suche nach einem Nachfolger ablenken wollen.

Die Stelle ist ausgeschrieben, soll bis 30. Juni besetzt sein. Ein Favorit ist Ralf Becker, der früher bei Holstein Kiel und zuletzt beim Hamburger SV gearbeitet hat.

Minge soll Verein erhalten bleiben

„Es tut mir persönlich unheimlich leid, und ich hoffe, dass Ralf dem Verein in einer anderen Aufgabe erhalten bleibt. Ob das gleich sein wird oder nach einer Auszeit, wird man sehen“, sagt Dörner – und stellt auf Nachfrage zumindest eines klar: „Ralf Minge ist nicht abserviert worden.“

Für die Mannschaft dürfe diese Personalie, so emotional sie für den Verein ist, sowieso kein Alibi sein. „Die Spieler können davon völlig unbelastet sein. Sie sind Profis und spielen hier um richtig gute Kohle. Das müssen sie wegstecken“, erklärt Dynamos Ehrenspielführer. Eine Nichtabstiegsprämie wurde offenbar ausgehandelt, auch wenn Dörner darüber nicht reden möchte.

Zu Prognosen im Abstiegskampf, wie sie auch die SZ-Sportredaktion aufgestellt hat, meint er: „Das ist bei Geisterspielen nicht berechenbar". Vielmehr werde es „in den letzten Spielen Ergebnisse geben, an die jetzt keiner glaubt“.