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Dieser Mann fordert AfD-Chef Chrupalla in Görlitz heraus

Florian Oest soll für die CDU den Wahlkreis Görlitz zurückgewinnen. Die Niederlage von 2017 schmerzt noch immer. Aber der CDU ist schon mal ein Clou gelungen.

Von Sebastian Beutler
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CDU-Kandidat Florian Oest klebt ein neues Wahlwerbeplakat auf der Goethestraße in Görlitz.
CDU-Kandidat Florian Oest klebt ein neues Wahlwerbeplakat auf der Goethestraße in Görlitz. © Martin Schneider

Florian Oest klebt, was er kann. Aber recht machen kann es der CDU-Direktkandidat nicht jedem. Klebt er, dass er um die Erststimme wirbt, warnt die Linkspartei davor. Verbindet er das mit dem Anspruch, dass "es um die Demokratie" geht, regt sich die SPD auf, weil ihr Kandidat natürlich auch demokratisch ist.

Doch ist es dem 34-Jährigen mit dieser Strategie gelungen, die Endphase des Wahlkampfes im Kreis Görlitz inhaltlich zu bestimmen. Auf den Wahlforen geht es zwar um Wirtschafts- und Sozialpolitik, um Strukturwandel und besseren öffentlichen Nahverkehr - aber seit die CDU die Erststimmenkampagne lanciert hat, ist sie das bestimmende Thema. Sollen die Anhänger anderer Parteien, mit ihrer Erststimme Oest wählen, um Chrupalla zu verhindern?

Diese Frage beunruhigt die anderen Parteien mehr als sie zugeben wollen. Denn wenn Chrupalla wiedergewählt wird, ist die Lage anders als vor vier Jahren, als er unterschätzt wurde und praktisch aus dem Nichts kam. Diesmal müssen sich alle die Frage stellen: Wäre er zu verhindern gewesen? Andererseits: Ist die CDU auf andere angewiesen, um den Wahlkreis zurückzugewinnen, den sie seit 1990 haushoch gewonnen und erstmals 2017 verloren hatte? Für die CDU geht es an der Neiße um viel.

Oest setzte sich in der CDU gegen Mitbewerber durch

Dass es auf diese Fragen hinauslaufen würde, war zwar im Wahlkampf lange nicht zu erkennen gewesen. Doch schon früh hatte die CDU auf diese Zuspitzung hingearbeitet. Bereits im September vergangenen Jahres. Damals fanden sich die Mitglieder des Kreisverbandes im Görlitzer Tivoli zusammen, um ihren Direktkandidaten zu bestimmen. Oest musste sich als einziger von den großen Parteien gegen einen Mitbewerber durchsetzen.

Stephan Rauhut, Chef der schlesischen Landsmannschaft, forderte ihn heraus und zugleich die gesamte Partei. Rauhut, der Mitglied der konservativen Werte-Union ist, ist ein Kritiker der Merkel-Jahre, findet die Politiker belehrend, die Bürokratie in Brüssel überbordend und sieht in der Existenz der AfD auch eine Schuld der "CDU und von Angela Merkel als CDU-Vorsitzende". Doch Oest hatte keine Probleme, sich mit knapp 80 Prozent gegen den gebürtigen Görlitzer, aber mittlerweile als West-Import geltenden Rauhut durchzusetzen.

Genau zu diesem Anlass aber gab Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer bereits die Richtung vor, der zwischen 2002 und 2017 für den Kreis im Bundestag saß und dann urplötzlich sein Mandat verlor. Bei dieser Wahl würde darüber entschieden, ob der Kreis einen Bundestagsabgeordneten erhalten würde, der nur "kluge Reden halten und provozieren kann" oder einen "Anwalt der Menschen", einen "Schutzpatron der Region", der sich von früh bis spät der Dinge annimmt. Dazu müsse der CDU-Kandidat, so riet Kretschmer, im Wahlkampf von früh bis abends unterwegs sein und mit den Menschen reden.

Das nahm sich Oest an. Die Tage des zweifachen Familienvaters sind mit Wahlkampf ausgefüllt. Seit Juni fährt er kreuz und quer durch den Landkreis, steht an den Wahlständen, grillt mit Kretschmer oder ohne ihn, lädt zu politischen Wanderungen ein, klingelt an Haustüren, sucht das Gespräch mit den Einwohnern. Fehlenden Einsatz kann die CDU ihrem Kreisvorsitzenden und Direktkandidaten nicht vorwerfen. Das musste er aber auch, denn anfangs war er ein Unbekannter.

Warum hat die CDU in 16 Jahren nichts getan?

Er selbst, so sagt er, spüre Zuspruch: beim Einkaufen im Supermarkt kämen Bekannte auf ihn zu, wünschten ihm alles Gute zur Wahl. Auch bei den Verantwortlichen im Kreis Görlitz merke er, dass sie ihm die Daumen drücken. Und doch erzählen auch Mitglieder seines Teams, dass es an den Wahlständen Aggressionen gibt, dass Bürger die CDU für viele Probleme wie fehlende Straßen- und Eisenbahnverbindungen, geringe Löhne oder soziale Härten verantwortlich machen, unversöhnlich sind und die Wahlhelfer beschimpfen. Warum hat die CDU das in 16 Jahren Kanzlerschaft Merkel nicht versucht zu lösen, heißt es häufig. Stellt man Florian Oest diese Frage, dann meint er, er schaue nicht zurück. Es reiche nicht nur, Fehler zu erkennen, sondern es müssten auch Lösungen gefunden werden. Jetzt gehe es um die Zukunft.

Es ist daher auch gar nicht so einfach, aus ihm viel Persönliches herauszukitzeln. Geboren 1988, aufgewachsen im Görlitzer Villen-Vorort Biesnitz, evangelisch, verheiratet, zwei Kinder. Studium der Rechtswissenschaften, Mitarbeit in der Geschäftsführung eines mittelständischen Unternehmens, Branche Sondermaschinenbau; Wechsel zur DPFA-Gruppe, die Schulen in Sachsen betreibt; Referent von Innenminister Roland Wöller und nun Referent an der Polizeihochschule Sachsen. AfD-Bewerber Tino Chrupalla nennt diesen Lebenslauf "Kreißsaal, Hörsaal, Plenarsaal".

Für Oest ist das ein Beweis für dessen Nichtwissen. Wenn es so gewesen wäre, dann wäre er nach seinem Studium, zu dem auch noch ein berufsbegleitendes Managementstudium gehört, zu einer Unternehmensberatung gegangen und schließlich in ein Ministerium gewechselt. Oest will aber nicht nur Sprücheklopfer sein, sondern macht Politik aus Überzeugung. Das war schon so, als er von Wöller gefördert wurde. Es war die Zeit, als auch in der CDU die Kritik an der rigiden Sparpolitik im Freistaat wuchs. Dass Lehrer wieder verbeamtet und mehr Polizeistellen geschaffen wurden, traf den Nerv Oests. Und er sah, dass Politik eben auch Veränderungen anstoßen kann.

Florian Oest war einst in der SZ-Jugendredaktion aktiv

Und das schon ziemlich früh. Im SZ-Archiv finden sich Beiträge von ihm für die damalige Jugendredaktion, in denen er die Bundestagskandidaten von 2005 vorstellte. Ilja Seifert (PDS), Joachim Schulze (B 90/Grüne), Harald Twupack (FDP), Michael Kretschmer (CDU) und Wolfgang Gunkel (SPD) hießen sie damals. Gunkel ist vor wenigen Tagen verstorben, Kretschmer stieg zu Sachsens Regierungschef auf, Joachim Schulze sitzt für die Grünen im Görlitzer Stadtrat, Ilja Seifert zog sich nach Berlin zurück - und Harald Twupack kandidiert in diesem Jahr für die Lucke-Partei "Liberal-konservative Reformer". Kein schlechter Jahrgang, um von ihm zu lernen.

Kurz darauf initiierte er ein Benefizkonzert der Jungen Gemeinde und der Musikschule Fröhlich für das Görlitzer Kinderheim in der Kreuzkirche. So kam auch der Kontakt zu Michael Kretschmer zustande, der selbst erst 27 Jahre war, als er 2002 das erste Mal in den Bundestag gewählt wurde.

2008 trat Oest schließlich in die CDU ein und legt eine steile Karriere hin: Chef der Jungen Union Sachsen/Niederschlesien, Kreisvorsitzender der CDU an der Neiße, Mitglied des Kreistages. Sein Netzwerk trägt ihn auch in diesem Wahlkampf, die jungen Mitglieder der CDU im Kreis Görlitz, aber auch viele einfache Mitglieder der Partei stehen auf den Straßen für ihn.

Hoffnung auf das Direktmandat

Sie haben noch immer nicht die Hoffnung aufgegeben, AfD-Bundessprecher Tino Chrupalla das Direktmandat zu entreißen. Trotz der gegenteiligen Wahlprognosen. Aber Umfragen für den Kreis Görlitz gibt es nicht. Oest hat auch keine andere Wahl, denn als einziger der Direktkandidaten hat er keinen Listenplatz: Entweder gewinnt er die meisten Erststimmen im Wahlkreis, oder der nächste Bundestag kommt ohne ihn zusammen. Gelingt ihm aber der Coup, stehen ihm viele Türen offen.

So greift Oest Chrupalla bei den wenigen Aufeinandertreffen besonders hart an. Beispielsweise im Ostritzer Mewa-Bad noch vor dem Sommer, als von Wahlkampf nicht wirklich geredet werden konnte. Oder bei den nicht-öffentlichen Diskussionsrunden in Gymnasien oder bei Unternehmerverbänden. Und wenn Chrupalla nicht kommt wie bei den Wahlforen der Landeszentrale für politische Bildung, dann nimmt das Oest als Beweis dafür, dass den AfD-Politiker der Wahlkreis nicht interessiert.

Wie Wahlkampf funktionieren kann, hatte Oest das erste Mal aus der Nähe 2012 erlebt. Damals wurde in Görlitz ein neuer Oberbürgermeister gesucht. Der amtierende Rathauschef, einst mit einem CDU-Parteibuch ausgestattet, hatte sich die Gunst vieler verspielt. Gegen ihn formierte sich ein parteiübergreifendes Bündnis, an dessen Spitze Siegfried Deinege stand, lange Jahre Chef des Görlitzer Waggonbaus. Der damalige CDU-Stadtchef Octavian Ursu hatte Deinege für eine Kandidatur gewonnen.

Und da nur die CDU finanzielles und personelles Hinterland besaß und zugleich auch die Christdemokraten schon sahen, dass sie etwas gutzumachen hatten, puschten sie Deineges Kandidatur und stellten ihm für die entscheidenden Wochen vor der Wahl Florian Oest zur Seite. Wo Deinege war, tauchte auch Oest auf. Nicht alles so bierernst zu nehmen, diese Lehre nahm er aus jener Zeit mit, sagt der Bundestagskandidat heute.

Harte Auseinandersetzungen mit der AfD

Wie schwer es ist, diese Lehre aber auch zu leben, ist seinen Auftritten anzusehen. Seine Kritik an Chrupalla trägt Oest häufig aggressiv vor, in Ostritz lag in seinen Vorwürfen eine Schärfe, dass sich die Anhänger der AfD nur schwer zurückhalten konnten. Andere sagen, er "spreche mit Schaum vor dem Mund".

Oest selbst sagt, er habe eine Haltung und zu der stehe er auch. Schon bei seiner Kandidatur erklärte er, jede Zusammenarbeit mit der AfD abzulehnen. Nicht nur im Bund und im Land, sondern auch in den Kommunen. Als Protestant mit einem christlichen Menschenbild und überzeugt von der sozialen Marktwirtschaft, könne er sich mit der AfD nicht zusammensetzen.

Das heißt nicht, dass er nicht auch Vorschläge der AfD für sinnvoll erachtet. Seit Jahren heißt es von den Rechtspopulisten, die Lausitz benötige eine Sonderwirtschaftszone. Oest kann sich das vorstellen, um Anreize für Unternehmen zu einer Ansiedlung zu bieten. Vor allem aber müssten in einer solchen Zone kurze Planungszeiten gelten.

Auch die Gegenseite springt nicht zimperlich mit ihm um. Als er kurz vor der Wahl, auf Einladung eines Landwirtes in Großschönau Familien zum abendlichen Grillen einlädt, da verkündeten Gegner, sie werden sie mit einem Spießrutenlauf empfangen. "Das sollen Konservative sein", fragt Oest. "Das ist ein Aufgebot von Rechtsextremen." Und auch von links gibt es Gegenfeuer. Die Linkspartei kündigt nicht gegen die AfD-Spitzenkandidaten Alice Weidel, die am Mittwoch auf den Marienplatz kommt, eine Gegendemonstration an, sondern gegen die CDU und den Auftritt von Friedrich Merz an diesem Dienstag in Görlitz.

Liebe zur Heimat, Fleiß und Verstand - mit diesem Dreiklang bewarb sich Oest im September 2020 um die Kandidatur in der CDU. Heimat steht nun auch auf seinen Wahlplakaten, die auffällig häufig entlang der Straßen stehen. Daneben Oest mit Kiepe. "Nur wer den Wahlkreis und die Menschen kennt", sagte er schon zu seiner Kandidatur, "kann der Region helfen".


Die SZ porträtiert im Vorfeld der Bundestagswahl am 26. September die Direktkandidaten der aussichtsreichsten Parteien. Bislang erschien:

Alles zur Bundestagswahl im Landkreis Görlitz lesen Sie auch in unserem Wahl-Blog.