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Olympia-Tagebuch: Einmal Chinesisch süß-sauer, bitte

Die Peking-Spiele gehen zu Ende, es heißt Abschied nehmen. Mancher hat es damit ziemlich eilig. Und auch das Abschiedsessen ist... naja. Die Erlebnisse unseres Reporters in China.

Von Tino Meyer
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Wenigstens zum Abschluss einmal richtig Chinesisch essen!? Ein Reinfall, rein kulinarisch – aber insgesamt einer der wenigen.
Wenigstens zum Abschluss einmal richtig Chinesisch essen!? Ein Reinfall, rein kulinarisch – aber insgesamt einer der wenigen. © SZ/Meyer

Sonntag, 20. Februar: Chinesisch süß-sauer

Nicht nur allem Anfang wohnt ein Zauber inne. Auch so ein letzter Tag hat etwas Besonderes, etwas besonders Emotionales, wie ich feststelle. Es heißt Abschied nehmen, dabei hatte sich nach fast drei Wochen in Peking inzwischen fast so etwas wie Alltag eingestellt.

Ich habe gelesen, wenn man etwas 21 Tage in Folge tut, wird es Gewohnheit. Das werde ich nun nicht ganz schaffen, morgen früh ist erst Tag 20 für mich hier, der Ablauf aber schon eingeschliffen: aufstehen (viel zu früh), anziehen (bemüht entspannt), Körpertemperatur messen (konstant um 36 Grad) und in die Olympia-App (My2022) eintragen, frühstücken (Ei auf Pappteller), Corona-Test (immer negativ). Alles kein Problem, alles Routine und doch gut, dass es jetzt vorbei ist. Und offenbar können es auch die Chinesen an der einen oder anderen Stelle kaum erwarten.

Das Siegerpodest am Eiskanal ist abgebaut, kaum haben es Rekordmann Francesco Friedrich und die anderen Bobjungs verlassen. Ebenso im Presseraum: Neben mir werden schon die Plexiglasscheiben entfernt. Mit dem Kollegen vom ARD-Hörfunk bin ich schließlich der letzte Kunde – und versuche noch, eines der Maskottchen-Plakate an den Wänden mitzunehmen. Wenn schon kein Bing Dwen Dwen in Plüsch (restlos ausverkauft), dann eben so. Es gelingt mir nicht, auch an dieser Stelle haben die Gastgeber ganze Arbeit geleistet.

Härter, weil unerwartet trifft mich das Transportproblem. Nachdem nicht nur der Expresszug am letzten Wettkampftag unerklärlicherweise nicht mehr fährt, gibt es auch kaum noch Busverbindungen zurück in die Hauptstadt. Erst 22.30 Uhr ist die Nächste verfügbar – was kein Problem wäre, wenn der Presseraum in Yanqing nicht um 15.30 Uhr schließen würde.

Einmal Curry Beef Potatoes mit Reis, bitte. Kostet im Pressezentrum zwölf Euro und schmeckt... naja.
Einmal Curry Beef Potatoes mit Reis, bitte. Kostet im Pressezentrum zwölf Euro und schmeckt... naja. © SZ/Meyer

In meiner Not fahre ich also mit dem Taxi ins Pressezentrum nach Peking – und beschließe, zum Abschied dort wenigstens einmal richtig Chinesisch zu essen. Und so endet Olympia für mich, wie es begonnen hat: Friedrich schauen (bei der Abschlussfeier im TV), Friedrich schreiben und dazu fried rice mit Curry Beef Potatoes (siehe Foto). Es ist allerdings ein Reinfall, rein kulinarisch – und insgesamt in meinem Olympia-Alltag hier einer der wenigen.

Peking war, bei allem Für und Wider, eine Reise wert. Doch jetzt freue ich mich, ehrlich gesagt, auf ein richtig schönes Stück Fleisch. Und Hackepeter zum Frühstück. Nicht nur deshalb: wird Zeit, wieder nach Hause zu kommen.

Freitag, 18. Februar: Ein Leben hinterm Zaun

Land und Leute kommen zu kurz in diesem Tagebuch, das ist zweifellos so. Ich kann lediglich beschreiben, was ich durch die Fensterscheibe des Shuttlebusses sehe. Hochgeschossige Wohnblocks, Kinder, die auf einem zugefrorenen Fluss spielen und viel Verkehr auf großen, mehrspurige Straßen. Großstadt eben. In Peking leben rund 21 Millionen Menschen, die Stadt ist damit eine der größten der Welt – und mittendrin Olympia, strikt abgeschirmt von Land und Leuten. Das eine hat mit dem anderen nichts zu tun.

Geht das Tor auf, ist der Blick frei auf das Stück Straße vor dem Hotel – und dann kommt gleich der Shuttle-Bus.
Geht das Tor auf, ist der Blick frei auf das Stück Straße vor dem Hotel – und dann kommt gleich der Shuttle-Bus. © SZ/Meyer

Anfangs hat mich das nicht gestört. Als ich 2016 bei den Sommerspielen in Rio war, lief ich über die Copacabana und dachte mir, den Kopf voll mit Wettkampfplänen und Text-Ideen: Ist auch nur Sand. Am letzten Tag war ich dann oben über der Stadt bei der Christusstatue – und denke noch heute gern daran zurück. Was wohl von Peking in Erinnerung bleibt?

Der Zoo ist gleich um die Ecke, und nachdem nun alle über das Maskottchen Bing Dwen Dwen reden, hätte ich tatsächlich Lust, echte Panda-Bären zu sehen. Stattdessen bleibt es bei der überlebensgroßen Attrappe, die heute Mittag als Attraktion für die Journalisten durchs Pressezentrum geführt wurde. Es bildete sich tatsächlich eine große Menschentraube, und auch ich habe – ausschließlich zu Dokumentationszwecken – ein Selfie gemacht.

Die Attraktion des heutigen Tages, nur leider nicht im Pekinger Zoo, sondern im Pressezentrum. Ein Selfie muss sein, natürlich nur zu Dokumentationszwecken.
Die Attraktion des heutigen Tages, nur leider nicht im Pekinger Zoo, sondern im Pressezentrum. Ein Selfie muss sein, natürlich nur zu Dokumentationszwecken. © SZ/Meyer

Anders als bei der Zika-Mücke, vor der im Vorfeld der Rio-Spiele eindringlich gewarnt wurde und die es im brasilianischen Winter dann doch nicht gab, ist die Lage diesmal leider eine andere. Corona hat ganzjährig Saison, vor allem im Winter.Die gute Nachricht: die olympische Blase hält. IOC-Chef Thomas Bach bezeichnete Peking heute als den, aus pandemischer Sicht, sichersten Ort der Welt. Ich teile selten seine Meinung, in dem Punkt hat er uneingeschränkt recht. Was an den strengen Regeln nichts ändert. Der tägliche Corona-Test bleibt ebenso Pflicht wie die Maske.

Eine Chance, der olympischen Blase zu entkommen, hat es jetzt allerdings gegeben. Das Organisationskomitee bot tatsächlich einen Ausflug zur Chinesischen Mauer an – für 40 Personen. So schnell sich die Nachricht im Pressezentrum rumsprach, so schnell waren alle Plätze vergriffen. Nicht alle interessierten sich offenbar für die Panda-Attrappe.

Donnerstag, 17. Februar: Panda zum Mitnehmen gesucht

Mit der roten Laterne, das ist schon eine schräge Idee. Irgendwie niedlich sieht sie aber aus, diese Laterne namens Shuey Rhon Rhon und ein chinesisches Wahrzeichen ist sie auch. Ob um das putzige Maskottchen der Anfang März beginnenden Paralympics in Peking dann eine ähnliche Begeisterung entsteht wie sie Bing Dwen Dwen in diesen Tagen erlebt? Dass der Riesen-Panda zum Verkaufsschlager wird – darauf hätte man wetten können, das ist bei Maskottchen nicht selten. Das Nationaltier Chinas sind die Pandas schließlich auch.

Um Bing Dwen Dwen ist allerdings ein regelrechter Hype entstanden. Es gibt ihn natürlich in allen möglichen Variationen, als Pin, auf Karten und Tassen, die Plüsch-Version aber ist das mit Abstand beliebteste Souvenir. Und nachdem vergangene Woche bekannt wurde, der knuffige Panda sei ausverkauft, ist die Nachfrage noch mal gestiegen. Ich habe nun auch schon Anfragen von Zuhause erhalten („Der ist soooo süüüß“) – aber weder Lust noch Zeit, mich in die jeden Tag länger werdende Menschenschlange vor dem Beijing 2022 Official Store im Pressezentrum zu stellen.

Kleines Geschäft, lange Schlange - das ist unter Corona-Auflagen keine gute Verbindung. Was also tun: anstellen oder ohne Maskottchen nach Hause fliegen?
Kleines Geschäft, lange Schlange - das ist unter Corona-Auflagen keine gute Verbindung. Was also tun: anstellen oder ohne Maskottchen nach Hause fliegen? © SZ/Meyer

Mehr als hundert Leute waren es heute Vormittag, ich habe nachgezählt. Es soll sogar Leute geben, die auf Klappstühlen vorm Eingang übernachten. Fakt ist: Anders als bei den Sportstätten, die oftmals überdimensioniert erscheinen, wurde hier definitiv viel zu klein geplant. Mehr als 20 Personen dürfen nicht gleichzeitig rein, so die Corona-Regel. Zudem ist das Angebot nicht gerade üppig, was wiederum kaum stört. Bing Dwen Dwen oder nix, das ist jetzt das Motto. Inzwischen werden sogar Bestellungen entgegengenommen – natürlich nur im Laden. Also doch anstellen? Es ist de facto die einzige Chance, in der olympischen Blase von Peking gibt es keine Alternative.

Ich habe einen anderen Plan. Vielleicht ergibt sich ja am Eiskanal von Yanqing eine unverhoffte Chance. Dort winkt Bing Dwen Dwen in Übergröße bei den Siegerehrungen. Und am Sonntag, nach dem letzten Rennen im Viererbob, wird das Kostüm vermutlich nicht mehr gebraucht. Aber ist das dann noch soooo süüüß?

Riesenpanda Bing Dwen Dwen ist der Star dieser Winterspiele. Das Maskottchen will jetzt jeder haben.
Riesenpanda Bing Dwen Dwen ist der Star dieser Winterspiele. Das Maskottchen will jetzt jeder haben. © SZ/Tino Meyer

Mein ganz persönliches Andenken habe ich ja schon: den vom deutschen Skeleton-Mechaniker mit Tape geklebten Schuh. Ich überlege, den Silbermedaillengewinner Axel Jungk aus Dresden noch darauf unterschreiben zu lassen. Und seit gestern bin ich unverhofft im Besitz eines Polo-Shirts mit Beijing 2022-Logo – ganz ohne Anstellen. Ein Kollege hatte einen Kollegen beauftragt, das Teil in der XXL mitzubringen. Die Größe stimmte auch, nur sind Größenordnungen in China offenbar andere. Jetzt gehört es mir, und ich trage für gewöhnlich Größe M – nach den Tagen hier mit Tendenz zur S. Aber das ist ein anderes Thema.

Mittwoch, 16. Februar: So geht sächsisch bei Olympia

Was mich mit dem nun dreimaligen Olympiasieger verbinde? Ja, auch ich bin schon mal Bob… mitgefahren. Eine tolle Erfahrung, Magendrehen inklusive. Francesco Friedrich hat damit keine Probleme, an den Lenkseilen fühlt er sich richtig wohl. Hochprofessionell ist der Pirnaer außerdem, sodass er nach einer sehr kurzen Nacht am Mittwochmorgen wieder in den Bob steigt. Vierertraining schwänzen – nicht mit ihm. Und nicht mit uns.

Zumindest beim Schlafen können wir locker mithalten, mehr als zwei, drei Stunden sind es diesmal nicht geworden, nur dass Friedrich beim Aufwachen eine Goldmedaille sieht und wir unseren Laptop, jeder selbstverständlich in seinem Einzelzimmer. Auch das ist eine der Corona-Auflagen dieser Spiele.

Vor Ort in Yanqing: dpa-Fotograf Robert Michael und SZ-Reporter Tino Meyer vor dem olympischen Eiskanal, fotografiert von Doug Mills, Fotograf der New York Times.
Vor Ort in Yanqing: dpa-Fotograf Robert Michael und SZ-Reporter Tino Meyer vor dem olympischen Eiskanal, fotografiert von Doug Mills, Fotograf der New York Times. © Doug Mills

Wer außer mir zu diesem „wir“ gehört? Fotograf Robert Michael, Dresdner wie ich, inzwischen in Diensten der Deutschen Presse-Agentur und seit Jahren mit seiner Kamera ganz nah dran am sächsischen Sportgeschehen. Natürlich kennt er Friedrich – und Friedrich kennt ihn. Bei der Siegerehrung nach dem Zweiertriumph gibt es deshalb eine Jubelpose extra und am Tag danach dieses Foto unmittelbar vor dem Start mit dem Vierer.