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"Angst, dass sie das Schuljahr nicht schafft"

Viele Dresdner Schüler lernen weiter daheim. Wie problematisch das für die Familien ist und warum einige Lehrer keine Videokonferenzen anbieten.

Von Nora Domschke & Julia Vollmer
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Während die Grundschüler wieder zurück sind in den Klassenzimmern, lernt der Großteil der Dresdner Oberschüler und Gymnasiasten weiterhin daheim.
Während die Grundschüler wieder zurück sind in den Klassenzimmern, lernt der Großteil der Dresdner Oberschüler und Gymnasiasten weiterhin daheim. © Patrick Pleul/dpa-Zentralbild

Dresden. Keine Freunde treffen, kein Unterricht und zunehmend schlechte Stimmung: Die Dresdner Schüler der Klassenstufen fünf bis zehn in Gymnasien und Oberschulen sitzen seit Monaten zu Hause und müssen ihre Aufgaben allein lösen. Einen festen Termin, an dem die Kinder wieder zur Schule gehen dürfen, gibt es noch nicht.

Nur die Abschlussklassen haben wieder Präsenzunterricht. Zwar war zuletzt vom 8. März die Rede - um diese Entscheidung zu treffen, sei es aber noch zu früh, sagte Staatskanzleichef Oliver Schenk am Dienstag. Maßgeblich dafür sei die Entwicklung des Infektionsgeschehens.

Wie geht es den Kindern zu Hause?

Während die einen Schüler weiterhin ihre Aufgaben erledigen, fällt das anderen zunehmend schwerer, wie Dresdner Eltern der SZ berichten. "Mein Sohn ist in der 10. Klasse im Gymnasium und flüchtet sich immer mehr in die Welt der Computerspiele, er spielt dort bis in die frühen Morgenstunden und kommt dann früh nicht aus dem Bett", erzählt eine Mutter. Er lasse sie nicht in die Aufgaben hineinschauen, für die Mutter ist es deshalb schwer zu prüfen, ob er alles erledigt.

"Videokonferenzen finden jetzt meist früh 8 Uhr statt und da schläft er noch oder ist sehr müde", sagt sie. Die Lehrer müssten jetzt hin und her wechseln zwischen dem Unterricht für die Abschlussklassen und dem Erstellen der Aufgaben für die Kinder im Homeschooling.

Auch andere Eltern berichten davon, wie schwer es ist, ihre jugendlichen Kinder zum Lernen und Erledigen ihrer Aufgaben zu motivieren. Eine alleinerziehende Mutter, deren Tochter die 6. Klasse einer Dresdner Oberschule besucht, fühlt sich völlig machtlos. Auch ihre Tochter sei nachts lange wach, am Morgen müde, völlig antriebslos. "Ich kann sie nicht zwingen, dass sie ihre Aufgaben macht. Schon gar nicht, wenn ich den ganzen Tag auf Arbeit bin."

Abends sei sie geschafft vom Job, wolle dann Streit mit ihrer Tochter vermeiden. "Ich bin so frustriert - und habe Angst, dass sie das Schuljahr nicht schafft." Sie wünscht sich mehr Unterstützung von der Schule, schließlich gehe es hier um die Zukunft ihres Kindes.

Was wünschen sich viele Dresdner Eltern?

Zahlreiche Familien fühlen sich mit der häuslichen Lernzeit ihrer Kinder überfordert. Das liegt zum einen am Unterrichtsstoff, der von Eltern ohne pädagogische Expertise nur schwer vermittelt werden kann. Auch, weil er in höheren Klassen recht anspruchsvoll ist. "Den Stoff schüttelt man nicht einfach aus dem Ärmel", sagt die Mutter der Oberschülerin.

Eines der größten Probleme sehen Eltern darin, dass im Alltag ihres Schulkindes eine feste Struktur und verbindliche Termine fehlen. Schon seit dem ersten Lockdown ist der Ruf nach Videokonferenzen zu festgelegten Zeiten groß. Und er wird angesichts der schwindenden Motivation bei vielen Schülern immer größer.

Viele Dresdner Schulen nutzen dieses Mittel inzwischen umfangreich, am Gymnasium Tolkewitz etwa finden etliche Unterrichtstunden auf diesem Weg statt. "Das klappt wirklich sehr gut", berichtet die Mutter eines Siebtklässlers an diesem Gymnasium. Und auch die sonstige Kommunikation mit den Fachlehrern, zum Beispiel, wenn ihr Sohn Fragen zum Unterrichtsstoff oder den Aufgaben hat, funktioniere bestens.

Das wünscht sich auch die Mutter der Oberschülerin. "Es ist einfach ein Unterschied, ob sie sich nur die Aufgaben aus Lernsax ausdruckt oder ob ein direktes Gespräch mit dem Lehrer am Bildschirm möglich ist."

Was gibt der neue Leitfaden des Kultusministeriums vor?

Am 15. Februar veröffentlichte das sächsische Kultusministerium Standards für die häusliche Lernzeit, eine Art Leitfaden, welche Vorgaben es dazu gibt. Das sei eine der häufigsten Fragen von Schülern und Eltern. Das Ministerium betont, dass die häusliche Lernzeit Unterrichtszeit sei. "Wie sie konkret gestaltet wird, liegt in der Verantwortung der jeweiligen Schule." Die Standards sehen unter anderem vor, dass Aufgaben mit Fristen an die Schüler verteilt werden und Lehrer für Rückfragen zur Verfügung stehen sollen, auch in Präsenz-Sprechzeiten.

Welche Unterrichtsmethoden eingesetzt werden, zum Beispiel Erklärvideos oder Gruppenarbeiten, entscheiden die Lehrer selbst. "Sie entscheiden, in welchem Umfang neben digitalen Medien auch analoges Unterrichtsmaterial, wie beispielsweise Schulbücher, Arbeitshefte oder Arbeitsblätter, verwendet wird", heißt es weiter. Vorgaben zu Videokonferenzen gibt es demnach nicht. Nur so viel: "Ein vollständiger Verzicht auf Online-Angebote ist nicht angemessen."

Wie die Kommentare in den sozialen Netzwerken dazu zeigen, kommt der Leitfaden vielen Eltern nun ohnehin schlichtweg zu spät. "Jetzt schafft ihr es, Tipps zum Umgang mit dem Homeschooling abzugeben. Starke Leistung 'Bildung Sachsen'", schreibt etwa Madlen Nentwig.

Und auch Franziska Hoffmann kommentiert: "Ich finde es sehr schade, dass nach Wochen häuslicher Lernzeit die Standards mitgeteilt werden." Aus ihrer Sicht sei es auch Sache des Kultusministeriums, die Gestaltung der häuslichen Lernzeit verbindlich vorzugeben und nicht den Schulen oder einzelnen Fachlehrern zu überlassen.

Wie bewertet der Dresdner Stadtschülerrat die Situation?

Joanna Kesicka vom Schülerrat fordert vor allem Klarheit für die Schüler. "Die 5. und 6. Klassen müssen so schnell wie möglich, wenn es geht, wieder in die Schulen zurück", sagt sie. Gerade für die kleineren Kinder sei Homeschooling sehr schwer. "Es mangelt oft an der richtigen Technik, aber auch die Motivation und die Selbstdisziplin nehmen weiter ab" sagt sie. Und in den frühen Jahren auf dem Gymnasium oder der Oberschule würden die Grundlagen gelegt, da brauche es einen Lehrer, der hilft.

Kesicka wünscht sich auch, dass den Schülern der Druck bei den Noten in diesem Schuljahr genommen werde. "Wir müssen die Kinder erstmal wieder im Unterricht ankommen lassen und vielleicht lieber ein paar Klassenarbeiten weniger schreiben."

Was sagen Schulleiter und Lehrer?

Renate Kühnel, Schulleiterin am Dresdner Erlwein-Gymnasium, beobachtet große Unterschiede bei den Schülern. "Die einen können sich zu Hause super konzentrieren und erledigen ihre Aufgaben, die anderen verschwinden komplett in der Versenkung und reagieren nicht auf Anrufe oder Mails."

Seit Januar unterstützen die Sozialarbeiter der Schule einige Kinder bei den Aufgaben im Schülerclub - natürlich mit Mindestabstand und unter Beachtung der Hygieneregeln. "Wir konnten einige unsere Schüler auch mit Notebooks aus den Neuanschaffungen der Stadt versorgen, die vorher kein eigenes hatten", sagt Kühnel.

Auch andere Initiativen helfen, zumindest, wenn es um die technische Ausstattung geht: So hat der Großvermieter Vonovia dem Hans-Erlwein-Gymnasium Dresden vier neue Laptops und einen Drucker gesponsert. Kühnel hofft nun, dass die Schüler bald wieder zurückkehren können.

Doch die Technik allein macht noch keine erfolgreiche Lernzeit daheim aus. Das wissen auch die Dresdner Lehrer, die ihrerseits immer mehr unter Druck geraten, weil Eltern mehr Unterstützung einfordern. Etwa mithilfe von Videokonferenzen. Allerdings scheint das im Schulalltag, in dem an den Gymnasien und Oberschulen seit 18. Januar die Abschlussklassen wieder vor Ort lernen, gar nicht so einfach zu sein.

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"Diesen Wunsch kann ich sehr gut verstehen und auch ich würde mir wünschen, dass mehr Online-Unterricht stattfinden könnte", schreibt die Klassenlehrerin einer Dresdner Oberschule an die Eltern. In den vergangenen Wochen habe sie dazu viele Gespräche mit ihren Kollegen geführt und erfahren, dass viele Eltern denken, Lehrer würden nur zu Hause herumsitzen und hätten nichts zu tun, weil ja kein Unterricht stattfindet. Das werde der Arbeit der Pädagogen aber nicht gerecht.

Vielmehr sind seit Januar viele Lehrer wieder in den Abschlussklassen im Einsatz, was viel Zeit in Anspruch nimmt. Dazu kommt die technische Ausstattung der Pädagogen. "Alle Lehrer, die Videokonferenzen derzeit anbieten, machen dies mit ihren Privatrechnern und ihrer privaten Ausstattung", so die Oberschullehrerin. Ebenso sieht das bei den Schülern aus. An ihren Videokonferenzen nimmt nur etwa die Hälfte ihrer Klasse teil, was die Lehrerin auch auf die fehlende Technik zurückführt.

Ein weiterer Aspekt, warum Lehrer Videokonferenzen ablehnen: Sie fürchten, dass Schüler Mitschnitte davon machen und weiter verbreiten. Wenige Kollegen hätten schlichtweg auch keine Lust, sich mit digitalem Unterricht zu befassen, räumt die Lehrerin ein. Sie findet: "Die Vorbereitung eines digitalen Unterrichts muss von Grund auf neu strukturiert werden."

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