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Nach Demo-Samstag in Dresden: Wie sich die "Querdenken"-Bewegung verändert hat

"Querdenker", Reichsbürger und Rechtsextreme haben am Samstag in Dresden gemeinsam demonstriert. Corona ist nur noch ein Nebenthema.

Von Henry Berndt & Dominique Bielmeier & Theresa Hellwig & Sandro Pohl-Rahrisch & Fionn Klose
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Etwa 2.000 Menschen um Marcus Fuchs, Reichsbürger und „Freie Sachsen“ demonstrierten am Samstag in Dresden.
Etwa 2.000 Menschen um Marcus Fuchs, Reichsbürger und „Freie Sachsen“ demonstrierten am Samstag in Dresden. © Matthias Rietschel

Dresden. Es sind um die 2.000 Menschen, die "Querdenken 351"-Mitbegründer Marcus Fuchs an diesem Samstagnachmittag durch die Dresdner Innenstadt folgen. Bei weitem nicht so viele wie zur ersten großen Corona-Demo der Bewegung. Als im Oktober 2020 gegen Masken, Mindestabstand, Testpflicht und Ladenschließungen protestiert wurde, konnte Fuchs bis zu 5.000 Teilnehmer mobilisieren. Viele verunsicherte Menschen, aber auch Rechtsextreme, die sich als "Querdenker" sahen und zusammen den Theaterplatz füllten. Zahlenmäßig überrascht dieser Demo-Samstag also nicht.

Doch die Themen haben sich im Vergleich zu damals geändert. Zusammen mit Reichsbürgern und rechtsextremen "Freien Sachsen", die sich der Fuchs'schen Kundgebung angeschlossen haben, fordern Teilnehmer nicht mehr das Ende der Corona-Maßnahmen, sondern propagieren Umsturzfantasien vor der Semperoper.

Demonstranten sprechen von "Revolution"

"Nur eine Revolution wird uns Freiheit bringen", behauptet Redner Paul Brandenburg. Der Mediziner aus Berlin ist als Corona-Skeptiker bekannt. Er fordert den Austritt aus EU und der Weltgesundheitsorganisation WHO, und - bis zur "Revolution" - die Wahl der Kleinstpartei "Basis" und der AfD.

Zuvor ist bereits Verschwörungsideologe Ken Jebsen als "Überraschungsgast" an das Rednerpult getreten. Jener Ex-Radio-Moderator, der die Anschläge am 11. September 2001 als Inszenierung der US-amerikanischen Regierung bezeichnete. Corona, sagte er, wäre ein "Gehorsamkeits-Experiment" gewesen. Die Medien wären "Komplizen des Großkapitals" und müssten "wieder unter Kontrolle" gebracht werden. Eine unter Rechtsextremen verbreitete, antisemitische Wortwahl.

Klar gegen das Grundgesetz richtet sich die auf dem Theaterplatz verbreitete Forderung nach der "Abschaffung der Parteienstruktur und Neubildung des Parlaments". Anhänger der Reichsbürger-Szene fantasieren währenddessen über imaginäre bzw. nicht mehr existente Staaten, in dem sie selbst gestaltete Flaggen schwenken – vom "Königreich Sachsen" etwa oder dem "Großherzogtum Mecklenburg-Strelitz". Reichsbürger lehnen die Existenz bzw. Legitimität der Bundesrepublik Deutschland sowie deren Rechtsordnung ab. Sie werden vom Verfassungsschutz beobachtet wie auch die rechtsextremen "Freien Sachsen", die erst in der vergangenen Woche in der Nähe des Hauses von Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) demonstrierten.

Rund 600 Menschen protestieren gegen "Querdenker"

Als Demo für "Frieden, Freiheit und die Reformation der Gesellschaft" ist die Versammlung an diesem Samstag angemeldet worden. Wobei der Frieden für einige Teilnehmer offenbar nicht bedingungslos ist. So tragen Demonstranten Schilder mit der Aufschrift "Frieden mit Russland, nicht mit den USA". Ein anderer bezeichnet den ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj als Faschisten.

Die Demo um Marcus Fuchs bleibt an diesem Samstag nicht ohne Gegenprotest. Die Versammlungsbehörde hat ihn in Hör- und Sichtweite zugelassen - zunächst. Auf der Zwinger-Seite des Theaterplatzes kommen am Nachmittag um die 600 Menschen zusammen. Sophie Koch, die stellvertretende Vorsitzende der sächsischen SPD, sagt: "Was damals bei ‚Querdenken‘ als Anti-Corona-Protest begann, ist jetzt nichts anderes als ein großes Sammelsurium an Menschenfeindlichkeit."

Etwa 600 Menschen haben gegen die „Querdenker“-Demo protestiert und sich für Toleranz, Demokratie und Solidarität ausgesprochen.
Etwa 600 Menschen haben gegen die „Querdenker“-Demo protestiert und sich für Toleranz, Demokratie und Solidarität ausgesprochen. © Matthias Rietschel

Man dürfe nicht zulassen, dass Rechtsextreme die Freiheit aller einschränkten und eine Gesellschaft förderten, in der Hass und Intoleranz regierten, ruft Dirk Ebert vom DGB zu dem Gegendemonstranten. "Wir sind hier, um ein starkes Signal gegen Rassismus und Fremdenfeindlichkeit zu setzen." Zum Protest, der am Fritz-Foerster-Platz begann, hatte unter anderem das Bündnis Herz statt Hetze aufgerufen.

Die Stimmung ist gereizt: An das Absperrgitter, an dem die Gegendemonstranten stehen, tritt ein Impfgegner und beginnt eine Diskussion. Ein anderer Mann läuft demonstrativ mit einem Schild an den Menschen vorbei. "Töten für westliche Werte? Nein! Nicht unser Krieg!", ist darauf zu lesen. Eine Frau schwenkt wiederum die Russland-Flagge den Gegendemonstranten entgegen. Auch Marcus Fuchs stichelt: "Ich heiße auch den Kindergarten da hinten willkommen. Wir freuen uns, dass ihr Ausgang bekommen habt."

Die Stimmung heizt sich weiter auf, als Anhänger der Reichsbürger-Szene sich der Fuchs-Demo auf dem Theaterplatz anschließen und dabei äußerst dicht an den Gegendemonstranten vorbeimarschieren. Einige Gegendemonstranten versuchen, sich den Reichsbürgern entgegenzustellen, zeigen ihnen den Mittelfinger. Die Polizei scheint überrascht zu sein von der Situation, braucht eine Weile, um dazwischen zu gehen. Die Gegendemonstranten kritisieren, dass zu ihrem Schutz keine Polizeikette gebildet worden sei.

Auf der Carolabrücke kam es zu Handgreiflichkeiten zwischen Polizei und Gegendemonstranten.
Auf der Carolabrücke kam es zu Handgreiflichkeiten zwischen Polizei und Gegendemonstranten. © Fionn Klose

Zu einer zweiten turbulenten Situation kommt es während des Demozuges auf der Altstädter Seite der Carolabrücke. Mehrere Gegendemonstranten versuchten dort, die Straße zu blockieren. Einsatzkräfte schleifen einen Vermummten über den Gehweg auf eine Wiese, es kommt offenbar auch Pfefferspray zum Einsatz.

Während auf dem Theaterplatz die Kundgebung um Marcus Fuchs ausklingt, werden die Gegendemonstranten nicht über die Augustusbrücke gelassen. Offenbar sollen sie auf Wunsch der Versammlungsbehörde nicht zurück zum Theaterplatz. Die Gegendemonstranten fühlen sich von der Behörde gehindert. "Es wird mit zweierlei Maß gemessen in Dresden", so der Versammlungsleiter.

Die Polizei meldet am Abend mehrere Ermittlungsverfahren, die sie eingeleitet hat. Ein 59-Jähriger, der der Reichbürger-Demo angehörte, muss sich aufgrund eines Redebeitrags wegen des Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen verantworten. Auf der Wilsdruffer Straße trug eine 48-jährige Deutsche die Bundesflagge verkehrtherum. Die Polizei ermittelt wegen Verunglimpfung des Staates und seiner Symbole.

Ist Fuchs noch Teil der Dresdner "Querdenker"-Gruppe?

Zudem prüft sie mehrere Plakate und Banner auf strafrechtliche Relevanz. Auf diesen waren unter anderem Politiker in Sträflingskleidung abgebildet, versehen mit dem Schriftzug "Des Volks- und Vaterlandsverrates schuldig gesprochen". Gegen einen Teilnehmer des Gegenprotestes, einen 29-jährigen Deutschen, wird wegen des Verdachts der Aufforderung zu Straftaten ermittelt. Außerdem gibt es gegen 13 Teilnehmer Anzeigen wegen eines Verstoßes gegen das Versammlungsgesetz. Sie hatten sich vermummt.

Zuvor, kurz nach 18 Uhr, endete der Demo-Tag zu Ende gegangen. Schon zuvor war bekannt geworden, dass es zwischen "Querdenken 351" und Marcus Fuchs kriselt. So hat sich beim Nachrichtendienst Telegram eine neue Dresdner Protestgruppe gegründet. "Querdenken 351 - Jetzt erst Recht“.

Darin heißt es, dass sich 12 der 13 Mitglieder des Dresdner "Querdenken"-Orgateams von Marcus Fuchs getrennt hätten. Es habe in letzter Zeit "kleinere und größere Diskrepanzen" gegeben, schreibt die Gruppe. Marcus Fuchs - letztes Jahr OB-Kandidat in Dresden - habe sich von den Zielen der "Querdenker" entfernt. Er habe Meinungen vertreten, die nicht der des restlichen Organisationsteams entsprächen. Fuchs war in den vergangenen Monaten auch bei Demonstrationen des Rechtsextremisten Max Schreiber, der bei den den "Freien Sachsen" aktiv ist, aufgetreten.