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Autofahrer gegen Radfahrer: Zwei Politiker streiten über die Zukunft von Dresdens Straßen

Der eine steigt weder in Bus noch Bahn. Der andere hat kein Auto. FDP-Stadtrat Holger Zastrow und Verkehrsbürgermeister Stephan Kühn bestimmen auf unterschiedliche Weise die Dresdner Verkehrspolitik. Ein Streitgespräch.

Von Fabian Deicke & Dirk Hein
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Dresdens FDP-Fraktionschef Holger Zastrow (l.) und Baubürgermeister Stephan Kühn haben sich einem Streitgespräch zur Zukunft des Straßenverkehrs in Dresden gestellt.
Dresdens FDP-Fraktionschef Holger Zastrow (l.) und Baubürgermeister Stephan Kühn haben sich einem Streitgespräch zur Zukunft des Straßenverkehrs in Dresden gestellt. © Veit Hengst

Dresden. Seit Jahren hat FDP-Fraktionschef Holger Zastrow ein Thema, bei dem er grundsätzlich wird: Dresden, so sagt er, behindert einseitig den Autoverkehr und teils sogar Bus und Bahn, um für wenige Radfahrer die Straßen freizuräumen. Baubürgermeister Stephan Kühn (Grüne) will den begrenzten Verkehrsraum in Dresden gerechter aufteilen und setzt den Fokus so stark wie niemand vor ihm auf das Rad.

Auto, Rad oder Bahn: Wer fährt was?

Stephan Kühn ist zum Interviewtermin für den Podcast "Thema in Sachsen" ins Haus der Presse mit dem Mobi-Bike, dem Radverleihsystem der DVB gekommen. "Je nachdem, wie das Wetter noch wird, setze ich mich danach in die Straßenbahn." Holger Zastrow hingegen fährt Auto - ausschließlich. "Wenn es regnet, könnte ich das Rad von Stephan Kühn hinten auf meinen Pickup schmeißen, dann kommt er trocken ins Rathaus", scherzt er.

Für den FDP-Politiker ist das Auto alternativlos. "Es ist mein fahrendes Büro, es ist Lagerfläche, ich ziehe mich dort um." Das Rad passt für Zastrows persönliche Lebensplanung "ausschließlich in die Freizeit". Bus und Bahn nutze er "seit ganz ganz vielen Jahren überhaupt nicht". Das könne sich irgendwann ändern, "aber momentan passt es überhaupt nicht zu mir".

Baubürgermeister Kühn verzichtet hingegen komplett auf ein eigenes Auto. Er nutzt Bus und Bahn, Carsharing-Angebote und Räder. "Ich brauche keinen Parkplatz zu suchen und bin damit im Durchschnitt der Dresdner. 60 Prozent kombinieren im Laufe des Tages die Verkehrsmittel."

Rad oder Auto: Wo ist Handlungsbedarf?

Aus Sicht von Holger Zastrow muss Dresden vor allem aus Sicht des Autofahrers gedacht werden. "Wir dürfen Dresden nicht nur zwischen der Neustadt und der Uni betrachten. Wir haben einen großen ländlichen Raum. Für viele bleibt das Auto erste Wahl." Vielen Umfragen, die das anders sehen, steht Zastrow kritisch gegenüber, vermutet dahinter die Radfahr-Lobby. "Glückwunsch an den ADFC. Ich wünsche mir manchmal, dass die Autofahrer sich wehren, dass sie auch organisiert sind." Ein gutes Beispiel sei "Automobil in Dresden" - eine Gruppe, die Lobbyarbeit für das Auto betreibt.

Aus Sicht von Stephan Kühn hat Dresden viel zu lange die Interessen der Autofahrer in den Mittelpunkt gestellt, zum Beispiel an der Könneritzstraße. "Dort wird der Radfahrer mal mit auf den Gehweg gequetscht, muss dann zur Überraschung der Autofahrer auf die Straße. So würden wir heute nicht mehr bauen." Alle Verkehrsarten hätten ihre eigene Berechtigung, der Verkehrsraum müsste neu aufgeteilt werden.

Wie sinnvoll sind Radschnellwege und Vorrangrouten?

Über 100.000 Menschen pendeln an jedem Arbeitstag nach Dresden. Das verursacht Staus. Aus Sicht von Bürgermeister Kühn sollen so viele Pendler wie möglich an P+R-Plätzen auf den ÖPNV umsteigen. Vorhandene Parkplätze sollen ausgebaut werden. Im Industriegelände soll dafür ein neues Parkhaus entstehen. Kühn setzt aber auch auf die neuen Radschnellwege, die als "Radautobahnen" Dresden in allen Himmelsrichtungen mit dem Umland verbinden sollen.

"Von mir aus, baut Radschnellwege. Aber das ist das viert- oder fünftwichtigste, was Dresden machen müsste. Ich würde mich freuen, wenn in der Verkehrspolitik der Stadt endlich das Wesentliche gemacht würde. Wesentlich ist der Ausbau von Straßen für den Autoverkehr", entgegnet Zastrow. Dresden brauche neue und leistungsfähige Straßen, vor allem auch, wenn weit über 10.000 Menschen in den neuen Industrieansiedlungen im Norden arbeiten.

Auch die Radvorrangroute Ost ist aus Sicht des FDP-Politikers ein Irrweg. "Die Comeniusstraße dient zukünftig dem Transit weniger Radfahrer. Das geht gnadenlos auf Kosten der Anwohner, die ihre Parkplätze verlieren." Kühn sieht in der neuen Radroute dagegen einen Erfolg. "Sobald wir sichere Radwege anbieten, werden sie genutzt, teilweise fahren auf der neuen Vorrangroute schon doppelt so viele Radfahrer wie vorher."

Braucht Dresden mehr Verkehrsversuche?

Seit etwa einem Jahr setzt Verkehrsbürgermeister Stephan Kühn verstärkt auf Verkehrsversuche. So wurde versuchsweise Tempo 30 auf dem Terrassenufer angeordnet. Dieser Test ist beendet und wird nun ausgewertet. Versuchsweise sollen auch die extrem umstrittenen Radwege auf dem Blauen Wunder angeordnet werden. Ist das ein guter Weg? Nein, sagt Holger Zastrow. "Insgesamt halte ich es für falsch, weil diese sogenannten Tests am Ende nur ein Vorwand sind, damit die Verwaltung ohne viel Beteiligung der Bürgerschaft ihre einseitige, zulasten des Autos gehende Verkehrspolitik durchsetzen kann."

Für Stephan Kühn sind Verkehrsversuche ein guter Weg, um teure Planungsfehler zu vermeiden. "Wir müssen uns eigentlich nicht mehr vorher schon um Kopf und Kragen reden, sondern wir können testen. Gibt es keine Verbesserungen und fehlt die Akzeptanz, dann bleibt es beim Versuch."

Volle Sicherheit oder keine Staus: Was ist wichtiger?

"Keine Staus", sagt Holger Zastrow. Der FDP-Mann möchte nicht, dass für die subjektive Sicherheit einzelner die Mehrheit im Stau stehen muss. "Die Verkehrspolitik in Dresden richtet sich gegen die Mehrheit der Verkehrsteilnehmer. Die Mehrheit fährt Auto und ÖPNV. Beide werden momentan absichtlich in den Stau gestellt." Dies sei falsch. "Mir reicht es langsam mit der Verteufelung des Autos."

Laut Kühn gibt es in Dresden jeden Tag drei bis vier verletzte Radfahrer. Im vergangenen Jahr waren es 1.000 Leichtverletzte und knapp 200 Schwerverletzte. "Vor diesem Hintergrund hat die Verwaltung die Pflicht, Infrastruktur zu errichten, die für Radfahrerinnen und Radfahrer sicher ist."

Welche Daten liegen dazu im Mobilitätskompass vor?

Für den Mobilitätskompass der Sächsischen Zeitung haben mehr als 3.000 Dresdner Fragen zu ihrem Mobilitätsverhalten beantwortet. 28 Prozent davon fahren täglich oder fast täglich mit dem Auto, weit weniger als im sachsenweiten Vergleich (48,4 Prozent). Bus und Bahn nutzen in Dresden ebenfalls knapp 28 Prozent täglich oder fast täglich. 46 Prozent sind häufig mit dem Rad unterwegs.

  • Mehr als 9.000 Menschen aus Ost- und Mittelsachsen haben für den Mobilitätskompass Einblick in ihr Mobilitätsverhalten gegeben. Der Mobilitätskompass wurde unter wissenschaftlicher Begleitung der Evangelischen Hochschule Dresden und in Kooperation mit der Agentur "Die Mehrwertmacher" entwickelt und ausgewertet, die darauf geachtet haben, dass die Aussagen belastbar sind. Bis Anfang Dezember veröffentlicht Sächsische.de die regionalen und lokalen Ergebnisse. Alle erschienenen Beiträge finden Sie auch auf www.saechsische.de/mobilitaetskompass

Die meisten Sorgen auf dem Weg zur Arbeit haben die befragten Dresdner übrigens wegen einer unsicheren Verkehrsführung für Radfahrer (57 Prozent). Im Anschluss folgen Verspätungen (32 Prozent) oder ein überfüllter Nahverkehr (29 Prozent). Staus (26 Prozent) oder eine komplizierte Parkplatzsuche (10 Prozent) bereiten den Befragten deutlich weniger Sorgen.