Olympia ist längst abgehakt und doch allgegenwertig. Dabei wäre jetzt die Zeit, es etwas ruhiger angehen zu lassen, durchzuschnaufen, Kraft sowie Motivation zu sammeln. Gerade er, der beste Bobpilot aller Zeiten, könnte es sich locker leisten. Mit den Olympiasiegen am 15. und 20. Februar im Eiskanal von Yanqing hat Francesco Friedrich seiner bis dato bereits unglaublich erfolgreichen Karriere einen weiteren Superlativ verpasst. Die Olympia-Erfolge im Zweier- und Viererbob vier Jahre später zu wiederholen, das hat in seiner Sportart vor ihm noch keiner geschafft.
Pausen hat Friedrich, wenn es ums Bobfahren geht, jedoch überhaupt nicht gerne, schon gar keine Ruhepausen – erst recht nicht angesichts der letzten Rennen dieses so perfekten Jahres. Zweimal Zweiter ist er in Lake Placid geworden. Erstmals seit fast drei Jahren endete damit ein Weltcup-Wochenende ohne ersten Platz für den doppelten Doppel-Olympiasieger. Die Siegmaschine, die sonst eigentlich immer gewinnt, schrieb daraufhin der Sportinformationsdienst, zeigte beim letzten Übersee-Rennen eine menschliche Seite.
Tatsächlich sind Kollegen, Trainer, Fans und Journalisten gleichermaßen gespannt gewesen auf diesen Moment. Wie der Pirnaer wohl reagiert und was er sagen wird, wenn er mal nicht gewinnt.
Bei Olympia in Peking wäre es ja fast dazu gekommen, zumindest in der öffentlichen Wahrnehmung. Ungewöhnlich angespannt präsentierte sich Friedrich in den Tagen vor dem ersten Lauf im Zweier, und so mancher Beobachter am Eiskanal rechnete fest mit einer Niederlage des Bob-Dominators, dessen Schlitten nicht lief und, er kurz vor dem Wettkampf das Modell gewechselt hat.
Friedrich selbst, der mit Anschieber Thorsten Margis trotzdem oder besser gerade deshalb zu einem am Ende ungefährdeten Sieg fuhr, spricht von einer mental sehr schwierigen Zeit. „Wir mussten ganz genau überlegen, was wir wann machen, welche Kufen wir testen und wie wir das Training effektiv nutzen“, sagt der 32-Jährige und gesteht, nur von einer Trainingsfahrt zur nächsten gedacht zu haben. Der Gedanke an die Goldmedaille hat ihn angetrieben. „Natürlich hadere ich da auch mal und habe Ideen, die ich wieder verwerfen muss. Doch zum Schluss sind wir – wie übrigens auch im Vierer – guter Dinge ins Rennen gegangen, weil wir wussten, dass wir gut vorbereitet waren. Letztlich haben wir am Start überzeugt sowie in der Bahn, das gab den entscheidenden Ausschlag“, sagt Friedrich im SZ-Interview kurz nach den Winterspielen.
Inzwischen kann man ihn dazu nicht mehr wirklich befragen. Friedrich hat zwar alle Details parat, nur beschäftigen mag er sich damit nicht mehr. Olympia 2022 ist für den Pirnaer so weit weg wie Peking von seiner Heimatstadt. Eine kleine Weltreise.
Bis Cortina d‘Ampezzo, wo 2026 die nächsten Winterspiele stattfinden, ist es im Vergleich dazu ein besserer Wochenend-Trip. Genauso hat das der bekennende Perfektionist auch geplant: Dass Fans und Förderer, von denen nicht wenige seit seinem ersten WM-Sieg 2013 in St. Moritz dabei sind, in gut drei Jahren alle zusammen mit dem Bus nach Italien kommen und live vor Ort sind, wenn Friedrich seine Karriere mit einem fünften Olympiasieg und damit einer weiteren Bestmarke krönt – und dann zurücktritt.
Die ersten Vorbereitungen des bekennenden Perfektionisten laufen bereits, also sowohl für die Bustour als auch die nächste Mission Gold. Und die zweiten Plätze zuletzt in Lake Placid, wo im vorolympischen Winter die WM 2025 stattfindet, sind dabei nicht ganz unwesentlich, wie danach wieder sehr deutlich wurde.
Erst gratulierte er mit erstaunlicher Herzlichkeit seinem Teamkollegen Johannes Lochner und tags darauf dem Briten Brad Hall, die diesmal im Zweier bzw. Vierer schneller waren. Es waren große Gesten eines großen Champions, der schließlich große Worte folgen ließ. „Die Niederlagen ... Was heißt Niederlagen. Diese Miss-Erfolge, wenn man nicht das gewinnt, was man will“, exakt so formulierte es Friedrich, „bringen uns viel mehr voran, als wenn wir immer alles abstauben.“ Zumindest die Konkurrenz weiß, dass nun wohl auch wieder große Taten folgen werden. Denn unter Wettkampfdruck läuft die Siegmaschine immer noch am besten.
Unsere Gesichter des Jahres
- Teil 1: Guerino Capretti und wie er heute über den Abstieg mit Dynamo Dresden denkt.
- Teil 2: Der Missbrauchsfall Hempel und wie es für den früheren Wasserspringer jetzt weitergeht.
- Teil 3: Die Siegmaschine kann auch anders - warum Francesco Friedrich den Bobsport dominiert wie kein anderer.
- Teil 4: Katharina Hennig und ihr sensationell-überraschender Olympiasieg.
- Teil 5: Das Coming-out des Jahres - und warum der Schritt des Leipziger Handballers Lucas Krzikalla der richtige war.