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"Bitte säubert und desinfiziert schnell"

Im Quarantäne-Hochhaus an der Hildebrandstraße in Dresden warten die Bewohner auf die Laborergebnisse. Die Furcht, sich im Haus anzustecken, ist groß.

Von Fabian Deicke & Julia Vollmer & Sandro Pohl-Rahrisch & Luisa Zenker
 5 Min.
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Musik gegen die Furcht: Eine Bewohnerin des Hochhauses an der Dresdner Hildebrandstraße.
Musik gegen die Furcht: Eine Bewohnerin des Hochhauses an der Dresdner Hildebrandstraße. © SZ/Luisa Zenker

Dresden. Die Haustür steht offen, mehrere Kästen Bier stapeln sich im Hausflur. Im Hochhaus an der Hildebrandstraße 7 ist am Montag so etwas wie Alltag eingekehrt. Nur das zerrissene, rot-weiße Absperrband erinnert noch an die Quarantäne, die das Gesundheitsamt am Donnerstag vergangener Woche über das komplette Gebäude verhängt hatte - inklusive ihrer rund 200 Bewohner.

Inzwischen sind die Polizisten, die Feuerwehrleute und die Corona-Test-Mannschaft abgezogen. Auch die Kamerateams scheinen das Interesse an dem Dresdner "Quarantäne-Hochhaus" verloren zu haben. Die Sorgen zwischen Erdgeschoss und 14. Etage sind allerdings geblieben.

Eine junge Frau läuft am Montagnachmittag auf das Haus zu. Über ihrer rechten Schulter hängt ein Beutel, in der linken Hand hält sie Zwiebeln und Kirschen. Namhee Lee wohnt hier. Sie kommt vom Einkaufen und ihrem ersten Spaziergang an der frischen Luft zurück, nachdem die Quarantäne für die meisten Bewohner am Sonntagabend aufgehoben wurde.

Viel Musik habe sie in ihrem Zimmer gehört, als sie das Haus nicht verlassen durfte, erzählt die 28-jährige Studentin aus Südkorea. Ein Ablenkungsmanöver, denn all die Tage schwang die Angst mit. Ein Nachbar, etwa 30 Jahre jung, starb vor einer Woche, möglicherweise an einer Infektion mit der indischen Corona-Variante. Knapp einen Monat vorher war er von einer Indien-Reise zurückgekehrt. Sieben weitere Bewohner sind inzwischen mit Corona infiziert, elf gelten als enge Kontaktpersonen und dürfen ihre Wohnungen weiterhin nicht verlassen. Klar, dass die Angst unter diesen Umständen auch am Montag noch nicht verschwunden ist.

Isoliert im Block: Am Freitag und am Wochenende hatte die Heilsarmee die 170 Personen in dem Wohnheim an der Hildebrandstraße mit rund 800 Kilo Lebensmitteln versorgt, darunter Toast, Milch und Eier.
Isoliert im Block: Am Freitag und am Wochenende hatte die Heilsarmee die 170 Personen in dem Wohnheim an der Hildebrandstraße mit rund 800 Kilo Lebensmitteln versorgt, darunter Toast, Milch und Eier. © dpa-Zentralbild

Jetzt kann Namhee Lee wieder einkaufen, aber wie hat das am Wochenende funktioniert? Um die vielen Bewohner mit Lebensmitteln zu versorgen, hatten sich mehrere Einkaufsinitiativen zusammengefunden. "Wir haben uns am Donnerstag zusammengetan, um die Menschen mit Lebensmitteln, aber auch mit psychosozialer Beratung zu unterstützen", sagt Paul Senf vom Studentenrat. Die Studenten kümmerten sich um spezielle Dinge wie das Einkaufen von glutenfreiem Brot, da in einer Familie ein Kind mit einer Glutenunverträglichkeit lebe. "Wir hatten 15 Einkaufsanfragen von Bewohnern, die wir am Wochenende erledigt haben, die Tüten haben wir ins Foyer des Hochhauses gestellt und die Bewohner zahlten dann via Paypal", so Senf.

Um die Grundnahrungsmittel kümmerte sich die Heilsarmee, lieferte 800 Kilogramm an Lebensmitteln, darunter Toast, Milch und Eier. Nun ist der Einsatz erst einmal vorbei, sagt Chefin Rosi Scharf am Montag. "Wir haben heute früh den Anruf von der Feuerwehr bekommen, dass die Lieferung nicht mehr nötig sei."

Hilfe war da, doch an Informationen fehlt es immer noch, sagt Namhee Lee. "Ich habe drei Wünsche", sagt sie in Richtung des Gesundheitsamtes. "Erstens: Bitte säubert und desinfiziert so schnell wie möglich das Haus und besonders den Fahrstuhl. Hier gehen viele Menschen auch ohne Maske ein und aus."

Außerdem möchte sie gern mehr über die Infizierten wissen. "Sagt uns, wer der verstorbene Mann war, in welcher Etage er gewohnt hat und zu wem er Kontakt hatte." Und drittens fordert Namhee Lee: "Teilt uns mit, wer die positiv Getesteten sind, in welcher Etage sie wohnen und warum sie hier in dem Hochhaus bleiben sollen, wo 170 Personen leben." Mit ihren Einkäufen betritt sie schließlich das Haus.

Das Wichtigste zum Coronavirus in Dresden:

Jemand, der die Sorgen zumindest etwas nehmen kann, ist Professor Alexander Dalpke. Er ist Virologe am Dresdner Universitätsklinikum und erklärt, was über die indische Corona-Variante, die neuerdings als Delta-Variante bezeichnet wird, bislang bekannt ist. Die wichtigsten Antworten im Überblick.

Ist die Delta-Variante gefährlicher?

Daten aus Großbritannien zeigen, dass sich die Delta-Variante sehr gut gegen die britische Mutante durchsetzen kann, sagt Alexander Dalpke. Das Potenzial, sich auszubreiten, sei also grundsätzlich vorhanden. Nicht überzeugt ist der Mediziner von der Vermutung, dass die Delta-Variante auch gefährlicher, also krankmachender ist. Daten zeigten lediglich, dass sie ansteckender sei.

Schützen die bisherigen Impfstoffe gegen die Delta-Variante?

Ja, die Impfstoffe, die derzeit verabreicht werden, schützen auch vor der Delta-Variante, sagt Dalpke. Die Wirkung gegen symptomatische Infektionen sei allerdings etwas schwächer. Sie liege bei den mRNA-Impfstoffen von Biontech/Pfizer und Moderna bei 78 bis 93 Prozent. Das sei immer noch ein sehr guter Schutz, so der Virologe. Bei den bisher verbreiteten Varianten würden die mRNA-Vakzine in 90 bis 96 Prozent der Fälle vor schweren Verläufen schützen.

Wird sich die Delta-Variante auch in Sachsen durchsetzen?

"Ich denke, dass die indische Variante Fuß fassen wird", so Dalpke. "Wir selbst haben ein Sequenzierungsprojekt laufen, bei dem wir sächsische Proben, aber auch Proben aus den Nachbarregionen in Polen und Tschechien analysieren." Man sehe dort, gerade in den letzten drei, vier Wochen, dass sich die Delta-Variante festsetze.

Das Robert-Koch-Institut listet in seinem Bericht am vergangenen Mittwoch insgesamt 13 Fälle im Freistaat auf. In ganz Deutschland konnten per Sequenzierung bisher mehr als 200 Infektionen mit der Delta-Variante nachgewiesen werden.

Ist eine vierte Welle zu erwarten?

Man werde einen Anstieg der Infektionen im Herbst sehen. "Auf jeden Fall", sagt Dalpke. Da die Impfkampagne aber weiter voranschreite, sei er vorsichtig optimistisch, dass es zu keiner vierten Welle komme, zumindest nicht in den Ausmaßen wie im Herbst, Winter und Frühjahr.

Könnte der Student ein Superspreader gewesen sein und noch viele weitere Menschen in Dresden angesteckt haben?

Superspreader-Situationen seien solche, bei denen ein Infizierter sehr viele andere ansteckt, so Dalpke. "Wir wissen bei Sars-Cov-2, dass es einzelne Menschen gibt, die eine besonders hohe Viruslast haben." Ob die Lage im Dresdner Hochhaus so ein Event wird, bezweifelt der Mediziner jedoch, da das Gesundheitsamt ja sehr schnell tätig geworden sei.