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Dresdens Dissidenten wollen mit Seenotretter und Kämpferin gegen Rechts in den Stadtrat einziehen

Die Dissidenten um Michael Schmelich und Johannes Lichdi wollen einen "rechten Durchmarsch" im Stadtrat verhindern. Mit welchen Personen und welchem Programm sie in den Stadtratswahlkampf gehen wollen.

Von Andreas Weller
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Die beiden Dissidenten Johannes Lichdi (l.) und Michael Schmelich haben bekannte Mitstreiter und ein Programm für die Dresdner Stadtratswahl im Juni.
Die beiden Dissidenten Johannes Lichdi (l.) und Michael Schmelich haben bekannte Mitstreiter und ein Programm für die Dresdner Stadtratswahl im Juni. © Sven Ellger

Dresden. Vor knapp drei Jahren sorgten Michael Schmelich und Johannes Lichdi für ein politisches Beben im Stadtrat, als sie die Fraktion der Grünen verließen und mit einem Piraten und dem Vertreter von "Die Partei" die Dissidenten-Fraktion gründeten. Beide wollen in Dresden politisch im Geschäft bleiben, haben durchaus bekannte Mitstreiter gefunden. Nun steht auch das Programm für die Stadtratswahl fest. Aber um zur Wahl im Juni zugelassen zu werden, müssen noch einige Hürden genommen werden.

Wer will für die Dissidenten in den Stadtrat?

Schmelich und Lichdi wollen auch dem neuen Stadtrat angehören. Michael Schmelich hat zuletzt mit einem Antrag für Diskussionen gesorgt, in dem er eine Steuer für Grundstücksspekulanten fordert. Johannes Lichdi ist der Stadtrat mit den wohl radikalsten Forderungen zum Klimaschutz, der auch das entsprechende Konzept von Sachsen-Energie scharf kritisiert. "Ich kämpfe dafür, dass Dresden bis 2035 klimaneutral wird, deshalb können wir uns keine Müllverbrennungsanlage in der Neustadt leisten, die sogar die Grünen befürworten."

Mit dabei ist nun auch Rita Kunert, eigentlich Mitglied bei den Linken und Inhaberin einer Reiseagentur. Vor allem ist Kunert aber bekannt als die Frau, die seit vielen Jahren in Dresden den Gegenprotest organisiert und hartleibig mit der Versammlungsbehörde verhandelt, wo immer Rechtsextreme in Dresden auf die Straßen gehen. Sie wolle erreichen, dass Initiativen und Vereine die Möglichkeit erhalten, Einfluss auf die Stadtpolitik zu nehmen, so Kunert. Außerdem setzt sie sich für Inklusion ein.

Auch der Dresdner Seenotretter Axel Steier von Mission Lifeline tritt für die Dissidenten. Ein weiterer Kandidat ist Markus Joos von der Bürgerinitiative Fernsehturm Dresden, der das Verkehrskonzept am Fernsehturm kritisiert, weil es einen "Todesstreifen" produziere. Der Medizintechniker habe sich über diese Initiative politisiert. "Ich bin für die Einführung des Dresdner Bruttokommunalglücks." Das bedeute für ihn, Politik nach einem Wohlstandsindex, Gemeinschaftshäuser in den Stadtteilen, Genesungsbegleiterinnen, Verbot von Energiesperren, Ausbau des Krankenhauses Friedrichstadt, Inklusion, leichte Sprache und Barrierefreiheit, menschenwürdige dezentrale Unterbringung von Geflüchteten und gegen Bezahlkarten. Dresden solle darüber hinaus Partnerstadt des neuen Schiffs für Mission Lifeline werden.

Was steht im Programm der Dissidenten?

Die wichtigsten Forderungen der Dissidenten sind der von Lichdi angesprochene "radikale" Klimaschutz, unter anderem mit Bürgerwindrädern und "gegen die Autovorrangpolitik der fossilen Rechten", so Lichdi.

Außerdem wollen sie Vorrang für den Rad- und Fußverkehr, eine Radvorrangroute auf dem 26er-Innenstadt-Ring, Radwege auf dem Blauen Wunder, Schulstraßen und mindestens zwölf Millionen Euro im Stadthaushalt für den Radverkehr.

Die Strecken für Busse und Bahnen der Dresdner Verkehrsbetriebe sollen ausgebaut und die Autoinfrastruktur nach Pariser Vorbild zurückgebaut werden. Dem könnten etwa die Köpcke-/Große Meißner Straße, Petersburger Straße, Schäferstraße, aber auch Parkplätze in der Innenstadt und in Stadtteilzentren zum Opfer fallen. Die Parkgebühren im Zentrum und für Anwohner sollen erhöht werden.

Um den Wohnungsmangel in Dresden zu mildern, soll die von Schmelich geforderte Grundsteuer C für Spekulanten eingeführt, der von Investoren geforderte Anteil an Sozialwohnungen erhöht und städtische Grundstücke an Mietergenossenschaften günstig verkauft werden.

Das "Bruttokommunalglück" hat Joos bereits erläutert. Außerdem wollen sich die Dissidenten für mindestens eine Gemeinschaftsschule in jeder der sechs Planungsregionen der Stadt einsetzen. Barrierefreiheit auch an Container-Schulstandorten, eine bessere Vergütung für Schulbegleiter, Ganztagslehrkräfte sowie mehr Grün auf den Schulhöfen und ein späterer Unterrichtsbeginn stehen ebenfalls im Programm.

Zudem auf der Agenda: Die Abschaffung des Rondells auf dem Heidefriedhof als Gedenkort und die Schaffung eines Gedenk- und Erinnerungsortes am Alten Leipziger Bahnhof.

Im Bereich Ordnung fordern die Dissidenten "keine Bevorzugung von Nazidemos", die radikale Beschränkung privater Feuerwerke, die konsequente Verfolgung von Gehwegparkern, ein Verbot von Laubbläsern und die Entkriminalisierung des Schwarzfahrens.

Welche Hürden sind noch zu nehmen?

Die Dissidenten gibt es bisher nur als Fraktion. Um für die Kommunalwahl in Dresden antreten zu können, haben sie eine Wahlplattform gegründet und das Programm beschlossen. Am 24. Februar stellen sie die Kandidierenden auf und müssen dann Unterschriften sammeln, um zur Wahl zugelassen zu werden, weil sie bei der Wahl 2019 nicht angetreten sind.

Dafür werden - wie beim geplanten Projekt von FDP-Aussteiger Holger Zastrow - in allen elf Wahlkreisen jeweils 22 Unterschriften benötigt, die Dresdner aus dem Wahlkreis im Rathaus leisten und damit ihre Unterstützung dokumentieren müssen.

Die Zeit läuft ab dem 7. März und die Unterschriften müssen bis zum 4. April geleistet worden sein. "Dazwischen gibt es die Schließung des Rathauses über Ostern, die Stadt tut alles, um das Sammeln zu verhindern", behauptet Lichdi. "Wir versuchen trotzdem, in allen Wahlkreisen die Unterschriften zusammenzubekommen." Das sei in den meisten Bereichen relativ sicher, allerdings beispielsweise in Cossebaude und Prohlis weniger. Die Dissidenten wollen auch für die Stadtbezirksbeiräte, die parallel gewählt werden, kandidieren.