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Was von der Jakobpassagen-Euphorie geblieben ist

Vor fünf Jahren herrschte Aufbruchstimmung in der unteren Jakobstraße in Görlitz. Die meisten Läden sind noch immer da. Jetzt reden Inhaber.

Von Ingo Kramer
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Franziska Seitz steht in ihrem Laden in der Jakobstraße 5 in Görlitz. Es läuft so gut, dass sie sich jetzt vergrößert.
Franziska Seitz steht in ihrem Laden in der Jakobstraße 5 in Görlitz. Es läuft so gut, dass sie sich jetzt vergrößert. © Martin Schneider

Bei Franziska Seitz läuft es. Und zwar so gut, dass die Inhaberin von „Franzis Kinderfachgeschäft“ in der Jakobstraße 5 ihren Laden jetzt vergrößert. War sie bisher hinter dem linken Schaufenster zu finden, residiert sie neuerdings zusammen mit einer Mitarbeiterin links und rechts.

„Das ist mindestens eine Verdopplung der Fläche“, sagt ihr Mann Daniel. Das Sortiment verdoppelt sich aber nicht. „Bisher war es sehr eng, sehr dicht“, sagt er: „Jetzt wird das Einkaufserlebnis wieder angenehmer.“ Den Laden gibt es seit 2019 in Görlitz. Er war anfangs Bestandteil des Jakobs-Konzeptes von Clemens Kießling, Robert Melcher und Sebastian König. Sie hatten 2016 im Nachbarhaus den Laden „Jakobpassage“ eröffnet – mit Fair-Trade-Kleidung, Möbelbau und Fahrrädern. Später richteten sie im gleichen Haus das Restaurant „Jakobs Söhne“ ein und 2019 folgten im Nachbarhaus „Jakobs Enkel“, ein Angebot vor allem für Familien. „Franzis Kinderfachgeschäft“ war anfangs Teil von „Jakobs Enkel“.

Doch die „Jakobpassage“ rechnete sich nicht, sie ist seit drei Jahren dicht. Auch mit dem Lokal hatte das Trio keinen Erfolg, bald wurde Enrico Merker der neue Betreiber. Er führte es eine Zeit lang sehr erfolgreich, doch dann kam Corona und damit das Aus für das Restaurant: Es ist bis heute dicht. Und von „Jakobs Enkel“ ist heute nur noch „Franzis Kinderfachgeschäft“ übrig.

Viele haben ähnliche Kundschaft

Ist also die Idee der Belebung der unteren Jakobstraße gescheitert? Oder ist von der Euphorie der Anfangszeit noch viel übrig? „Wir waren ja am Anfang noch gar nicht dabei“, sagt Daniel Seitz: „Aber bei uns läuft es momentan sehr gut und wir hoffen, dass es so bleibt.“ Die Lage sei gut. Im Umfeld gibt es Läden wie das Bekleidungsgeschäft Mayerei, das Sportgeschäft Muskelkater oder den Unverpackt-Laden. Sie alle sprechen eine ähnliche Kundschaft an. „Das ist die gleiche Art, einzukaufen“, sagt Daniel Seitz: „Überlegtes Einkaufen, nicht nach Schnäppchen gucken, auch mal einen Euro mehr ausgeben.“ Alle Läden seien privat geführt, man kenne die Inhaber.

Die anderen bestätigen diesen Eindruck durchweg. „Es funktioniert mit den Händlern ringsum, ich möchte nirgendwo anders hin“, sagt Susanne May vom Unverpackt-Laden „Emmas Tante“. Die Corona-Krise hat sie sehr ausgebremst: „Im Lockdown hatte ich weiter offen, aber ringsum war alles dicht.“ Entsprechend tot sei es gewesen, die Kundschaft in die Supermärkte abgewandert. „Weil sie gemerkt haben, dass es dort auch immer mehr Bio-Produkte gibt, kommen viele jetzt nicht mehr zurück“, sagt sie. Nur dank der treuen Stammkunden kann sie überleben. Dennoch: „Ich bin gerne in der Jakobstraße.“

Vor drei Jahren umgezogen und vergrößert

Letzteres geht auch Michael May von der Mayerei so: Das Geschäft öffnete vor sechs Jahren in der Nummer 36. Als die Jakobpassage auf der anderen Straßenseite schloss, zog die Mayerei vor drei Jahren in deren Räume, vergrößerte sich deutlich. „Für uns funktioniert die Lage“, sagt Michael May. Während es in der Berliner Straße viele Filialisten gibt, sind die Läden hier alle inhabergeführt, freut sich May. Aber nicht nur deshalb laufe es gut, sondern auch wegen des Ladens selbst: „Wir haben nachhaltige Ware, die es nur bei uns gibt, einen schönen Ofen und einen Garten.“

Direkt nebenan betreibt Sabrina Müller seit sechs oder sieben Jahren den Laden „B7 Nagelstudio und Mode“. Sie sei zuvor in der Salomonstraße gewesen, berichtet die Inhaberin: „Dort hatte ich auch schon Stammkunden, aber in der Straße war nix los.“ In der Jakobstraße kommen Stammkunden und auch Touristen, berichtet Sabrina Müller. Sie freut sich auch, dass so viele neue Läden hinzugekommen sind: „Das ist ein sehr schönes Miteinander.“

Händler haben sich etabliert

Das Sportgeschäft Muskelkater ist seit vier Jahren hier, war vorher etwas weiter die Straße rauf am Wilhelmsplatz. „Unsere Stammkunden sind alle mitgekommen, das war kein Abbruch“, sagt Inhaber Stefan Wenzel. Jetzt hätten sich in der unteren Jakobstraße die ansässigen Händler alle etabliert. „Das Lokal Sudost ist unser jüngstes Mitglied, es passt super rein und ist gut für die Vielfalt“, lobt Wenzel. Schade findet er, dass das Straßenfest wegen Corona zweimal ausfallen musste. „Die Vorbereitungen für September 2022 laufen aber“, sagt Wenzel. Das Fest lasse den Zusammenhalt unter den Händlern weiter wachsen.

Den lobt auch Mario Kosubek, der mit seinem Reisebüro Richter seit Januar 2020 in der unteren Jakobstraße zu finden ist: „Das Umfeld ist sehr angenehm, wir verstehen uns mit den anderen Händlern, auch wenn das Fest leider zweimal nicht stattfinden konnte.“ Hier gebe es definitiv mehr Laufkundschaft als an seinem früheren Standort auf der Dr.-Friedrichs-Straße. Als Reisebüro habe er aber keine spezielle Zielgruppe: „Ich glaube, wir profitieren von allen Händlern ringsum ein bisschen.“

Das Zoo- und Gartengeschäft Zwahr war im Gegensatz zu allen anderen schon zu DDR-Zeiten hier. „Auf uns haben die vielen neuen Läden keine Auswirkungen“, sagt Inhaber Roland Hegenbart: „Das tangiert uns vom Sortiment und von der Kundschaft her gar nicht.“ Ihn bewegt derzeit etwas ganz anderes: Dass die Stadt nächstes Jahr die untere Jakobstraße für eine Weile testweise zur Fußgängerzone machen will. „Wir haben viele Produkte, die 30 oder 40 Kilo wiegen“, sagt er. Seine Kunden müssten mit dem Auto ranfahren können. Als die Straße saniert wurde, habe er massive Umsatzeinbrüche gehabt. Das Gleiche befürchtet er nun fürs nächste Jahr. „Wenn das so kommt, dann überlegen wir, wegzuziehen oder ganz zu schließen“, sagt er.

Es wäre nicht der einzige leere Laden: Die alten Räume der Mayerei stehen seit drei Jahren leer, auch im Restaurant Jakobs Söhne tut sich nichts. Enrico Merker ist nicht für Nachfragen erreichbar. Gerüchten zufolge will er nicht zurückkehren, verhandle aber mit einem potenziellen Nachfolger, der die Lücke schließen soll.