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"Prag hat komplett die Kontrolle verloren"

Eine Corona-Mutation bringt Tschechiens Kliniken ans Limit. SZ-Korrespondent Hans-Jörg Schmidt spricht im CoronaCast über die Lage im Hotspot Europas.

Von Fabian Deicke
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Hans-Jörg Schmidt ist seit 1991 Korrespondent für die SZ in Prag. Eine Situation wie jetzt hat er zuvor noch nicht erlebt. Im CoronaCast erzählt er.
Hans-Jörg Schmidt ist seit 1991 Korrespondent für die SZ in Prag. Eine Situation wie jetzt hat er zuvor noch nicht erlebt. Im CoronaCast erzählt er. © [M] Ondøej Deml/CTK/dpa/SZ

Prag. Tschechien hat derzeit die höchsten Infektionszahlen weltweit, die 7-Tag-Inzidenz liegt bei einem Wert von rund 700. Das Coronavirus, vor allem die mutierte Variante mit der Bezeichnung B.1.1.7., hat das Land komplett im Griff. "Die Regierung will ab 1. März deshalb den derzeit geltenden Lockdown verschärfen. Dann fährt das Land bis auf die Industrie komplett herunter. Es werden jetzt auch Ausgangsbeschränkungen kommen", sagt Hans-Jörg Schmidt im CoronaCast, dem Podcast zur Pandemie von Sächsische.de.

Schmidt lebt in Prag und ist seit 30 Jahren Tschechien-Korrespondent der Sächsischen Zeitung. Der 68-Jährige kennt das Land und die Leute. "Was jetzt hier passiert, hätte ich nicht gedacht, dass es in der Form möglich ist. Der Regierung ist die Corona-Situation entglitten und die Menschen haben das Vertrauen komplett verloren."

Für die Lage gebe es viele verschiedene Gründe. Einer aber sei, dass auch führende Politiker des Landes in der Vergangenheit die selbst aufgestellten Corona-Regeln nicht eingehalten hatten. Im Oktober sorgte beispielsweise der damalige Gesundheitsminister Roman Prymula für Schlagzeilen: Er besuchte stundenlang ein Luxusrestaurant, obwohl eigentlich alle Gastronomiebetriebe hätten geschlossen sein müssen.

"Ein Drittel der Tschechen lehnt jetzt die Corona-Regeln ab"

Den vielleicht entscheidenden Wendepunkt in der Sicht der Tschechen auf die Pandemie sieht Schmidt in der Zeit nach dem ersten Lockdown. Den hatte Tschechien entschiedener durchgezogen als andere europäische Länder. Nach dessen Ende habe die Regierung unter Ministerpräsident Babiš verkündet, das Virus sei besiegt. "Die Bilder gingen um die Welt im Juni. Es kamen Tausende Menschen auf der Prager Karlsbrücke zusammen. Sie stießen mit Bier und Sekt an, um auf das Ende der Pandemie anzustoßen."

Eng beisammen, ohne Maske, ausgelassen feiernd. Am 30. Juni feiern Tschechen auf der Prager Karlsbrücke an einem 500 Meter langen Tisch das Ende der Corona-Maßnahmen.
Eng beisammen, ohne Maske, ausgelassen feiernd. Am 30. Juni feiern Tschechen auf der Prager Karlsbrücke an einem 500 Meter langen Tisch das Ende der Corona-Maßnahmen.

Als die Zahlen dann nach dem Sommer wieder nach oben gingen, hätten das viele nicht verstehen wollen. "Inzwischen ist es sogar schon so weit, dass ein Drittel der Tschechen nicht mehr bereit dazu ist, sich an die Abstands- und Hygieneregeln oder das Tragen von Masken halten zu wollen." Dabei sei die Situation ernster denn je: "Teilweise werden in Regionen zu 70 Prozent die mutierten und möglicherweise gefährlicheren Formen nachgewiesen. Premier Babiš spricht von bevorstehenden 'Höllentagen'."

Schmidt beschreibt ein Gesundheitswesen, das dem Kollaps nahe ist. Mancherorts müssten Ärzte zwischen drei Patienten entscheiden, um ihnen ein verfügbares Intensivbett zur Verfügung zu stellen. "Die Patienten sind ältere Menschen, aber vermehrt auch jüngere", sagt Schmidt und verweist auf Berichte tschechischer Experten. Die würden in der momentan grassierenden britischen Mutation eine höhere Übertragbarkeit feststellen, woraus auch eine höhere Zahl schwerer Verläufe resultiere.

Den Ausweg aus der verzwickten Situation würde man in Tschechien mit einem Hochfahren des Impfbetriebs erreichen. "Doch das ist schon das nächste Problemfeld...", holt Schmidt aus. Darüber sowie über die bevorstehenden Maßnahmen, die in Tschechien wahrscheinlich ab 1. März gelten, spricht Korrespondent Hans-Jörg Schmidt in der aktuellen Folge CoronaCast. Thema ist auch das Verhältnis Sachsens zu Tschechien und die besondere Situation für Tausende Grenzpendler.

Das Podcast-Gespräch wurde über einen Videoanruf aufgezeichnet. Alle am Gespräch beteiligten Personen saßen ausreichend weit voneinander getrennt an verschiedenen Orten.

Hier sind ergänzende Links zu Themen, auf die in der Folge Bezug genommen wird:

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