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Ist nur Corona schuld an mehr Todesfällen in Dresden?

Das Gesundheitsamt hat am Montag 15 weitere Todesopfer gemeldet. Wären sie auch ohne Corona bald gestorben? Was die Zahlen zeigen, und was nicht.

Von Sandro Pohl-Rahrisch
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Wenn in Dresden Intensivbetten wieder frei werden, dann leider häufig, weil die mit Corona Infizierten Patienten darin verstorben sind. Aber hat die Pandemie auch für mehr Todesfälle als üblich gesorgt?
Wenn in Dresden Intensivbetten wieder frei werden, dann leider häufig, weil die mit Corona Infizierten Patienten darin verstorben sind. Aber hat die Pandemie auch für mehr Todesfälle als üblich gesorgt? © Jonas Güttler/dpa

Dresden. Wer hat diesen Satz in den vergangenen Monaten nicht gelesen: "Alte Menschen sterben, so ist das nun einmal." Man findet ihn auf Facebook unter fast allen Berichten über Corona-Todesfälle. Oft machen die Verfasser kein Geheimnis daraus, dass sie Covid-19 als Todesursache anzweifeln. Die Menschen wären alt gewesen, hätten an einem schwachen Herzen, Zucker oder Krebs gelitten. Sie wären so oder so gestorben, wird da behauptet. Was ist dran? Was sagen die Sterbezahlen der vergangenen Jahre? Gab es ohne das neuartige Coronavirus weniger oder tatsächlich gleich viele Tote?

Wie viele Menschen sind bisher an Corona gestorben?

In Dresden sind bisher 513 Menschen an den Folgen einer Infektion gestorben, meldet das Gesundheitsamt und erklärt: Dabei handelt es sich um Dresdner, die nachweislich infiziert waren und wegen Covid-19 ihr Leben verloren. Das heißt, die Infektionsfolgen waren laut Todesbescheinigung der wesentliche oder alleinige Grund für das Ableben.

Zehn dieser Erkrankten starben zwischen Ende März und Ende Mai. Im Sommer gab es laut Gesundheitsamt keine Corona-Todesfälle. 266 Covid-19-Patienten verloren zwischen Anfang Oktober und Ende Dezember ihr Leben, weitere 237 in den ersten Wochen dieses Jahres.

Waren das alles alte und vorerkrankte Menschen?

Reichlich drei Viertel der Verstorbenen war 80 Jahre und älter, knapp ein Viertel gehörte der Altersgruppe 60 bis 79 Jahre an. Darüber hinaus berichtet das Robert-Koch-Institut über acht Dresdner zwischen 35 und 59 Jahren, die an Covid-19 starben.

Wie viele Dresdner genau an Vorerkrankungen litten, ist der Statistik nicht zu entnehmen. Allerdings ließe sich aus den wenigen vorliegenden Daten für Sachsen ableiten, dass bei einem nicht unerheblichen Anteil der Betroffenen Grunderkrankungen vorlagen, so eine Sprecherin des Gesundheitsministeriums. Dazu zählten Herz-Kreislauf-Probleme, Nieren- sowie Lebererkrankungen.

Sind 2020 mehr Dresdner gestorben?

Wären diese Menschen auch dann gestorben, wenn sie nicht infiziert gewesen wären, müssten sich die Todeszahlen für 2020 auf dem Niveau der vergangenen Jahre bewegen - so die These. Tatsächlich starben im vergangenen Jahr aber so viele Einwohner wie seit vielen Jahren nicht. Auf SZ-Anfrage teilt die Kommunale Statistikstelle mit, dass genau 6.069 Menschen ihr Leben verloren haben. In den fünf Jahren zuvor waren es zwischen 5.188 und 5.560.

Lässt sich dieser Anstieg auf Corona zurückführen?

Sicherlich spricht vieles dafür, dass vor allem der November und der Dezember ohne Pandemie für viele Familien weniger traurig ausgefallen wäre. Allein im Dezember starben etwa 330 Menschen mehr, verglichen mit den Dezember-Monaten der vergangenen fünf Jahre.

"Der Blick auf die Sterbefallzahlen legt nahe, dass deren zeitweise Erhöhung in einem Zusammenhang mit der Pandemie stand, also ein Corona-Effekt naheliegend ist", erklärt das Statistische Bundesamt. Dennoch, zweifelsfrei lässt sich der Anstieg der Todesfälle nicht auf das neuartige Virus zurückführen. Hier stößt die Statistik an ihre Grenzen.

Darüber hinaus kann die Corona-Pandemie nicht den kompletten Anstieg erklären. 6.069 Sterbefälle stehen im Schnitt 5.420 (Durchschnitt der vorangegangenen fünf Jahre) gegenüber. Das sind etwa 650 mehr. Allerdings werden lediglich 276 Fälle auf eine Coronavirus-Infektion zurückgeführt.

An dieser Stelle wird deutlich, dass andere Faktoren dazu beigetragen haben müssen, dass mehr Todesfälle gezählt wurden. Insgesamt lagen neun von zwölf Monaten über dem mehrjährigen Durchschnittswert. Darunter befindet sich auch der Januar (plus 100 Sterbefälle), von dem angenommen wird, dass das Coronavirus noch nicht in der Stadt grassierte.

Welche Ursachen könnte es noch für den Anstieg geben?

Zum einen ist da der steigende Anteil älterer Menschen an der Gesamtbevölkerung, wodurch es auch mehr Menschen mit potenziell tödlichen Erkrankungen gibt. Die Zahl der über 80-Jährigen ist in Dresden allein von 2019 zu 2020 um 2.261 gestiegen.

Ganz klar, im Winterhalbjahr hat auch die saisonale Grippe Einfluss auf die Todeszahlen. Sie könnte den hohen Januar-Wert erklären. Zwar sind dem Gesundheitsamt lediglich elf Influenza-Todesopfer für die Saisons 2019/2020 bekannt. Allerdings geht nicht jeder Grippe-Patient zum Arzt, und nicht jeder Arzt testet immer auf Influenza. Viele Fälle, auch schwere, könnten unerkannt geblieben sein.

Auch Hitze kann tödlich enden, insbesondere wenn ältere Menschen dadurch einen Kreislaufzusammenbruch erleiden. Vor allem der Sommer 2019 hatte in Deutschland eine sogenannte Übersterblichkeit zur Folge. Es starben also mehr Menschen als üblich. Mit 14 Hitzetagen, die an der Wetterstation in Klotzsche registriert wurden, fiel der vergangene Sommer aber weniger extrem aus. Im August starben in Dresden sogar weniger Menschen als in den vorangegangenen Jahren.

Was also könnte noch verantwortlich dafür sein, dass mehr Menschen ihr Leben verloren haben? An dieser Stelle sind lediglich Spekulationen möglich. So könnte die Pandemie dazu geführt haben, dass schwerkranke Menschen den Arztbesuch vermieden haben, um sich nicht mit dem Coronavirus anzustecken. Möglicherweise blieben Herzinfarkte und Krebserkrankungen zu lange unentdeckt. Darüber hinaus könnten die Kontaktbeschränkungen vermehrt zu Suiziden geführt haben, wodurch die Pandemie zumindest indirekt für diese Todesfälle verantwortlich wäre.

Auch eine Corona-Dunkelziffer steht im Raum. So kann nicht ausgeschlossen werden, dass Menschen an den Folgen einer Infektion verstarben, vor ihrer Beisetzung aber nicht auf den neuen Erreger getestet wurden. Entsprechende Überlegungen stellen zumindest Forscher der Ludwig-Maximilians-Universität München (LMU) an. Etwa die Hälfte der aktuell beobachteten Übersterblichkeit in Sachsen könne nicht direkt mit einer registrierten Covid-19 Erkrankung in Verbindung gebracht werden. "Dieses Ergebnis überrascht und verlangt nach weiteren differenzierteren Analysen von Seiten der statistischen Landesbehörden, ob und warum in Sachsen eine extreme nicht-Covid-19 bedingte Übersterblichkeit besteht oder ob diese durch fehlende Post-mortem Tests, falsch ausgestellte Todesursachen, reine Datenfehler oder anderweitig begründet werden kann", heißt es in dem Bericht, der Anfang Januar am dortigen Institut für Statistik erschienen ist.

Wann wird es Klarheit statt Vermutungen geben?

Die Statistiker der Dresdner Stadtverwaltung wollen sich erst einmal nicht zu weit hinauslehnen und sich festlegen, welchen Effekt die Pandemie bisher auf Dresdens Bevölkerung hatte. "Anhand der jetzigen Datengrundlagen können wir keine Aussagen dazu machen", teilt die Kommunale Statistikstelle mit. So warte man noch die Todesursachen-Statistik für das vergangene Jahr ab, die beispielsweise Krebserkrankungen, Verkehrsunfälle und Selbstmorde umfasst.

Man könne momentan nur auf Annahmen vom Statistischen Bundesamt verweisen, das für Sachsen eine Übersterblichkeit festgestellt hat, heißt es aus der Verwaltung. Zu beachten ist auch, dass die Sterbefall-Statistik für 2020 aus vorläufigen Daten besteht, ebenso wie die Corona-Meldestatistik.

Das Wichtigste zum Coronavirus in Dresden:

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