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Die Bio-Garnelen vom Festland Lausitz

Sächsische.de stellt Erfindungen von hier vor, die unser Leben verbessern. Teil 2: Suburban Seafood ersetzt mit seiner Zuchtanlage amerikanische Importe.

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Das Team um Friedrich Tietze (m.) hat die Zucht von Garnelenlarven in die Lausitz geholt.
Das Team um Friedrich Tietze (m.) hat die Zucht von Garnelenlarven in die Lausitz geholt. © Thomas Kretschel

Von Ines Mallek-Klein

Das Ziel ist klar. Spätestens in drei Jahren möchte das Start-up Suburban Seafood Marktführer für Garnelenlarven in Europa sein. Neben den Larven will das Team von Friedrich Tietze dann auch selbst einige Tonnen verzehrfertige Garnelen pro Jahr ausliefern. Der Firmensitz im ostsächsischen Nebelschütz ist dabei genauso außergewöhnlich wie die Geschäftsidee. In einem ehemaligen Schweinestall stehen die Becken, in denen man der pazifischen Weißbeingarnele bei ihrem Liebesleben zusehen kann. Fühlen sich die Tiere wohl, können die Weibchen alle zwei bis vier Wochen befruchtet werden und laichen dann. Der Nachwuchs, diese wenige Millimeter kleinen Larven sind die Basis des Geschäftsmodells von Suburban Seafood.

Ideengeber ist Geschäftsführer und Mitgründer des Start-ups, Friedrich Tietze. Er liebte schon als Kind das Wasser und die Wasserwesen. Er züchtete selbst Karpfen und studierte schließlich Wasserwirtschaft. Wie kann man die Ökosysteme im Wasser am besten imitieren? Das war der Schwerpunkt seiner Studien. Mit diesem Wissen ist es nun sein Ziel, den Lebensraum der Weißbeingarnele so genau wie möglich nachzugestalten. Die Tiere lieben es warm und salzig. Doch was einfach klingt, gestaltete sich bei der Umsetzung durchaus kompliziert, erklärt Roman Schwarz. Der Wirtschaftsingenieur und ehemaliger Gründungsberater gehört genauso wie der Biotechnologe Felix Kirsten zu dem dreiköpfigen Team.

Mit mehreren Salzen habe man experimentiert und optimiert, erzählt Schwarz. Dabei gilt immer der Grundsatz: Weniger ist mehr. Die drei Gründer wollen nicht nur die Zucht der Garnelenlarven nach Europa holen, um die Lieferwege kürzer zu machen. Dies soll auch die Tiere schonen und die Ökobilanz verbessern. Es geht darum, Ressourcen zu sparen. Und so arbeitet Suburban Seafood nicht mit herkömmlichen Reinigungsmethoden, bei denen sehr viel Frischwasser verbraucht wird. Stattdessen komm Pilima zum Einsatz. In der Langversion bedeutet dies Poly-Integrated-Low-Input-Marine-Aquaculture-Verfahren. Dabei filtern Algen und Würmer das Wasser und dienen zugleich als Nährstoffträger. Dieses Verfahren macht den Einsatz von Antibiotika überflüssig.

Damit sich die Muttertiere im Wasser wohlfühlen, müssen Temperatur und Mineraliengehalt stetig kontrolliert werden.
Damit sich die Muttertiere im Wasser wohlfühlen, müssen Temperatur und Mineraliengehalt stetig kontrolliert werden. © Thomsa Kretschel

Dort, wo heute die pazifische Weißbeingarnele ihr Liebesspiel aufführt, haben vor Jahrzehnten noch Sauen ihre Ferkel gesäugt. Das die Zuchtanlage nicht auf der grünen Wiese entstand, sondern man vorhandene Bausubstanz nutzt, passt nicht nur in die auf Nachhaltigkeit ausgerichtete Firmenphilosophie. Es ist auch ein Verdienst von Andreas Kretschmer, dem Gründer der Greentec Consult GmbH. und dem Nebelschützer Bürgermeister Thomas Zschornak. Sie unterstützen die Gründer in ihrem Tun. Doch die mussten auch selbst mit anpacken.

In den über Jahre ungenutzten Ställen hatte sich allerlei Bauschutt angesammelt. Bevor hier die großen Becken aufgestellt, die Wasserleitungen angeschlossen und die Filterstrecken in Betrieb genommen wurden, musste einiges an Erde und Beton bewegt werden. „Glücklicherweise sind wir alle drei von Haus aus handwerklich begabt“, sagt Roman Schwarz. Doch trotz aller Eigenleistung, das Unternehmen brauchte Kapital, um zu starten. Eine mittlere sechsstellige Eurosumme wurde in den vergangenen Monaten investiert, zur Verfügung gestellt von privaten Investoren und staatlichen Geldgebern. Neben dem Kapital der Mittelständischen Beteiligungsgesellschaft des Freistaates Sachsen fließen auch Fördergelder aus dem Europäischen Meeres- und Fischereifonds in das Biotech-Projekt. Das Wachstumspotenzial des Vorhabens scheint groß. Der Bedarf an Krustentieren steigt, denn sie gelten als eiweißreich und sind damit ein wichtiger Bestandteil gesunder Ernährung. Dass sich die Verbraucher dabei auch immer stärker für die Haltungs- und Aufzuchtbedingungen interessieren, könnte den Gründern von Suburban Seafood zugutekommen.

© Thomas Kretschel

Schon heute schätzt das Alfred-Wegener-Institut für Polar- und Meeresforschung die jährlich importierte Menge an Krustentieren auf rund 50.000 Tonnen. Tendenz stetig weiter steigend. Die Garnelenlarven, die heute in den Aufzuchtbecken schwimmen, stammen ausschließlich aus den USA. Die Vereinigten Staaten haben ein Exportmonopol für die Länder der Europäischen Union. Da möchten die jungen sächsischen Gründer jetzt angreifen. Experten bescheinigen ihnen gute Chancen. Die Zukunftsperspektiven erscheinen auch deshalb gut, weil mit der Pandemie das Bewusstsein der Verbraucher für regionale Wirtschaftskreisläufe und Produkte gewachsen ist.

Die Garnelen-Weibchen sind mit einem Gewicht von 60 bis 70 Gramm nicht nur fast ein Drittel schwerer als die Männchen. Sie sind auch größer und erreichen eine Körperlänge von bis zu 23 Zentimetern. Die Weißbeingarnele ist sechs bis sieben Monate nach dem Schlüpfen geschlechtsreif und sehr fruchtbar. Unter optimalen Bedingungen legen die Weibchen bis zu einer Viertelmillion Eier in jedem einzelnen Laichvorgang. Entsprechend hoch ist der Marktpreis. Seine genaue Höhe ist Geschäftsgeheimnis. Das natürliche Zuhause der Weißbeingarnele ist der Pazifik, wo sie in Meerestiefen bis zu 70 Metern zu finden ist. Die optimale Wassertemperatur liegt bei 29 Grad Celsius. Sie in Nebelschütz zu imitieren, ist relativ einfach. Schwerer ist es schon, den optimalen Mineralstoffgehalt konstant zu bieten.

Suburban Seafood ist bis heute die erste deutsche Hatchery und eine der wenigen in Europa. Garnelenfarmer sind ganz grundsätzlich froh darüber, dass die Abhängigkeit von amerikanischen Importen schwindet und das Coronavirus hat einmal mehr gezeigt, wie wichtig es ist, Wertschöpfungs- und Lieferketten möglichst regional zu gestalten. Mittlerweile gibt es europaweit mehr als ein Dutzend Garnelenfarmen, die zu den Kunden des Nebelschützer Unternehmens gehören. Und weitere Anfragen sind schon in der Bearbeitung.

Das Erfinder-Projekt „Genial Sächsisch“ findet gemeinsam mit den drei Gründerschmieden Dresden Exists, Saxeed (Chemnitz) und Smile (Leipzig) statt.

Acatech, die Deutsche Akademie der Technikwissenschaften, hat die Serie von 2019 mit dem wichtigsten Preis für Technikjournalismus ausgezeichnet.

Hier noch einmal alle Erfindungen im Überblick

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