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Die Herren der Insekten-Farm

Sächsische.de stellt Erfindungen von hier vor, die das Leben verbessern. Teil 6: Madebymade schafft mit Larven nachhaltiges Tierfutter.

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Die beiden Geschäftsführer von „madebymade“ Kai Hempel (li.) und Jonas Finck haben sich einen Proteinersatz für Tierfutter erdacht.
Die beiden Geschäftsführer von „madebymade“ Kai Hempel (li.) und Jonas Finck haben sich einen Proteinersatz für Tierfutter erdacht. © Sebastian Willnow

Von Sven Heitkamp

Im Örtchen Thesau im Südosten Leipzigs erstrecken sich riesige alte Hallen der Agrargenossenschaft Kitzen. Früher haben sie hier bei Pegau konventionelle Futtermittelpellets produziert, dann standen die Hallen viele Jahre leer. Im Frühjahr 2018 aber sind junge Leute mit einer neuen Idee eingezogen. Sie produzieren ebenfalls Tierfutter – allerdings ganz anders als ihre Vorgänger der traditionellen Landwirtschaft. Ihr Rohstoff sind die Larven der Schwarzen Soldatenfliege, aus denen hochwertige Proteinmehle und andere Futtermittel entstehen. Die frühere LPG ist so zur Heimat für ein innovatives Agrar-Start-up geworden: „madebymade“.

Die Gründer und ihr wachsendes Team haben ein Zucht- und Produktionssystem konstruiert und teilweise patentiert, in diesem Winter fahren sie die Anlage auf den geplanten Regelbetrieb hoch. Wenn alles reibungslos läuft, sollen bald jeden Tag bis zu fünf Tonnen lebender Larven für hochwertige, proteinreiche Futtermittel produziert werden. Zuchtanlagen im größeren Maßstab gibt es zwar schon mehrere in Europa, darunter in den Niederlanden und in Frankreich. „Uns ist es allerdings gelungen, eigene Technologien für eine Produktion im industriellen Maßstab zu entwickeln, die sich in einem schlanken modularen System in Schiffscontainern unterbringen lassen“, betont Kai Hempel, einer der beiden Gründer.

Damit sei die Herstellung von Insektenprotein überall auf der Welt mit geringem Aufwand machbar. Die Anlage soll in einer Art Kooperation angeboten werden und rentiere sich schon nach drei Jahren, rechnet der Betriebswirtschaftler vor. Das Interesse ist offenbar groß. „Wir haben bereits mehr als 30 Anfragen aus sieben Ländern in der Welt“, sagt Hempel.

Die Larven und Fliegen werden in ausrangierten Schiffscontainern gezüchtet.
Die Larven und Fliegen werden in ausrangierten Schiffscontainern gezüchtet. © Sebastian Willnow

Insektenprotein gilt als nachhaltige, umweltfreundliche Alternative zu Soja- und Fischmehl in der Futtermittelindustrie. Bisher importiert Europa jedes Jahr mehr als 30 Millionen Tonnen Sojaprodukte, vor allem aus den USA und Südamerika. Oft wird dafür Regenwald gerodet. Daher wird der Einsatz von Insekten als alternative Proteinquelle vorangetrieben. Die Schwarze Soldatenfliege ist seit 2017 in Europa für Fischfutter und Haustiere zugelassen.

Fast alle Anbieter solcher Insektenprodukte beziehen aber das verarbeitete Mehl von den wenigen großen Zuchtanlagen. „Wir sind fast die Einzigen in Deutschland, die die Larven produzieren“, sagt Kai Hempel, Sohn eines Dresdner Künstlerpaares, der schon neben dem Betriebswirtschaftsstudium in Leipzig Versuche mit Aquakulturen unternahm. „Damals habe ich festgestellt, wie teuer tierische Proteine sind“, erzählt er. „Daraufhin habe ich mein Geschäftsmodell geändert.“

Wasser und Speziallicht genügen, um die Larven der Soldatenfliege heranzuzüchten.
Wasser und Speziallicht genügen, um die Larven der Soldatenfliege heranzuzüchten. © Sebastian Willnow

Um das System von Madebymade zu verstehen, muss man mit Kai Hempel den Nahrungskreislauf seiner Larvenzucht ablaufen: In einer Halle neben einer Biogasanlage stehen mehrere ausrangierte Schiffscontainer. Im Reproduktionscontainer werden die Soldatenfliegen bei Speziallicht und 30 Grad gezüchtet. Nahrung brauchen sie nicht mehr, Wasser genügt. Ihre Lebenserwartung: kaum 14 Tage. Am Ende legen die Weibchen Hunderte Eier und sterben bald darauf, ebenso wie die Männchen.

Im zweiten Container schlüpfen die proteinreichen Larven nach vier bis fünf Tagen aus den Eigelegen. Danach werden sie in großen Kunststoffwannen zur Mast-Halle gebracht. Dort vor dem großen Scheunentor, stehen Kunststofftonnen und Container voller ausrangierter Paprika, Möhren, Orangen, Mandarinen, vertrocknetem Brot und anderer Lebensmittelreste. Diese nicht verkäuflichen Überbleibsel stammen aus der Landwirtschaft, der Industrie und dem Handel. Sie werden hier in großen Maschinen geschreddert, gemahlen und gemischt, um dann in flache rechteckige Mastwannen gegossen zu werden. In dem schlammigen Nahrungsbrei werden die anspruchslosen Fliegenlarven gemästet, neun Wannen liegen pro Container dicht übereinander. Zwei Wochen werden die stattlichen Maden aufgepäppelt – dann werden sie verarbeitet zu Tierfutter. Siebe trennen sie von dem organischen Abfall. In einem eigens konstruierten, meterlangen Ofen wird das Futter getrocknet.

Am Ende des Kreislaufes steht eine ganze Reihe von Produkten, die Madebymade verwerten kann: Ein Teil der getrockneten Maden wird direkt als Tierfutter verwendet. Ein Großteil wird in einem Schredder zu feinem, dunkelbraunem Proteinpulver verarbeitet. Die Abnehmer sind bislang vor allem Aquakulturen – ein wachsender Markt: Weltweit werden immer mehr Fische auf Fischfarmen in Teichen und Becken gezüchtet. Hempel rechnet zudem damit, dass Insektenfuttermittel dieses Jahr in der EU auch für Geflügel- und Schweine zugelassen werden. Das Proteinfett, das bei der Pulverproduktion abgeschieden wird, kann ebenfalls genutzt werden, unter anderem für Vogelfutter wie Meisenknödel. Und selbst die organischen Reststoffe, die die Larven verdaut haben, werden noch Humus oder Dünger.

Angefangen hat die Geschichte in einer Garage im Leipziger Norden. Die Gründer machten dort die ersten Fliegenzuchtversuche, bis sie in die größeren Hallen ziehen mussten, raus aufs Land. „Wir haben alles aus eigener Kraft aufgebaut“, betont Hempel. Die Leipziger Golzern Holding, ein Investor für nachhaltige Start-ups, gab eine sechsstellige Summe als Startkapital. Damit führten die Gründer den Nachweis, dass ihre Idee funktioniert. Mittlerweile haben sie Fördermittel, Stipendien und Preise erhalten, die EU finanziert das Projekt mit 1,2 Millionen Euro als Pilotanlage.

Ökologisch ist ihr Unternehmen für die Gründer durchaus in Ordnung. „Wir greifen nicht in die Biologie der Tiere ein und verändern ihren natürlichen Lebenszyklus nicht“, betont Mitgründer Jonas Finck, ein promovierter Biologe, der sich seit Jahren mit Insekten befasst. Das Madebymade-Team ist mittlerweile auf 14 Kolleginnen und Kollegen angewachsen. Bis Anfang 2023 ist die EU-Finanzierung gesichert. Dann wollen die Herren der Fliegen auch wirtschaftlich auf eigenen Füßen stehen.

Das Erfinder-Projekt „Genial Sächsisch“ findet gemeinsam mit den drei Gründerschmieden statt. Acatech, die Deutsche Akademie der Technikwissenschaften, hat die Serie von 2019 mit dem wichtigsten Preis für Technikjournalismus ausgezeichnet.

Hier noch einmal alle Erfindungen im Überblick:

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